Geheimauftrag: Liebe
ihm vorbei durch den Torbogen und den Flur hinunter.
Um acht Uhr am nächsten Morgen betrat sie den Frühstückssalon, setzte sich auf den Stuhl, den Filchett ihr zurechtrückte, lächelte ihm dankbar zu und schaute über den Tisch zu Charles. Er hatte aufgeblickt, sobald sie hereinkam, und beobachtete sie auch weiterhin.
»Granville war darin verwickelt.«
Charles deutete mit dem Kopf hinüber zu Filchett.
Der Butler trat einen Schritt vor, hob die Kaffeekanne. »Ich hole rasch frischen Kaffee, Mylord.«
»Danke.« Sobald Filchett das Zimmer verlassen und die Tür
hinter sich ins Schloss gezogen hatte, richtete Charles seinen Blick auf sie. »Was genau meinst du damit?«
Sie griff nach einer Schreibe Toastbrost. »Ich versuche Granville zu beschützen.«
»Er ist seit fast einem Jahr tot.«
»Nicht ihn selbst, sondern eher Elaine, Emma, Holly und Constance. Und mich auch, obwohl die Verbindung weniger direkt ist.« Elaine war Granvilles Mutter und Constance die verheiratete Schwester. Emma und Holly, die beiden Jüngsten, lebten noch zu Hause. »Wenn es bekannt wird, dass Granville ein Verräter war …« Da Charles ebenfalls unverheiratete Schwestern hatte, verstand er zweifellos, worauf sie anspielte.
»Also war Granville das Verbindungsglied zu den Schmugglern.« Er schaute sie an, zwar nicht verständnislos, aber eindeutig nicht überzeugt. »Fang am besten von vorne an. Warum denkst du, Granville sei zum Verräter geworden?«
Zwischen zwei Bissen Toast mit Marmelade erzählte sie es ihm. Filchett kam zum Glück mit der Kaffeekanne nicht zurück.
Steile Falten standen auf Charles’ Stirn. »Aber du hast ihn nie deswegen zur Rede gestellt?«
»Nein, nur wegen seiner Kontakte zu den Schmugglerbanden, davon wusste ich, seit er fünfzehn war. Natürlich habe ich nie eine andere Antwort erhalten als die, dass er sich bloß dort in der Nähe herumtreibe, mit der Sache selbst jedoch nichts zu tun habe.« Sie machte eine Pause, fügte hinzu: »Ich hätte nie vermutet, dass mehr dran war – bis zum letzten November.«
»Was geschah da?«
»Ja. Auf Wallingham gibt es ein Versteck, du weißt, so eines wie in vielen alten Häusern, wo zu Zeiten der Katholikenverfolgung unter Königin Elisabeth Priester Schutz suchten. Es befindet sich in Papas Schlafzimmer hinter der Vertäfelung, und er bewahrte dort Sachen auf, die ihm wichtig waren. Wir alle
wussten davon, aber niemand außer Granville hatte Zutritt. Vielleicht noch Mrs. Figgs, unsere Haushälterin, denn sie hat mit gezeigt, wie man es öffnet. Vielleicht musste sie dort einmal sauber machen. Sie war es auch, die eine gründliche Reinigung des ganzen Hauses vorschlug, als der Termin der Übergabe an den Marquis bevorstand. Und bei dieser Putzaktion habe ich mir dann das Priesterversteck angeschaut.«
»War jemand bei dir?«
»Nein, ich habe Mrs. Figgs Anweisung gegeben, dass dort vorerst weder geputzt noch aufgeräumt werden soll. » Sie seufzte. »Charles, ich wusste zwar, dass Papa ein großer Sammler war, aber mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. Da waren Pillendosen, ich weiß nicht wie viele. Eine kostbarer als die andere, mit Juwelen besetzt oder mit wunderschönen Miniaturen und Grisaillemalereien verziert. Und ich habe keine davon vorher je zu Gesicht bekommen.«
Sie stellte ihre Teetasse ab, schaute ihn an. »Also, wo hatte er sie her?«
»Von Händlern vermutlich, die sich an interessierte Sammler wandten. Er dürfte sie schlicht gekauft haben.«
»Dachte ich auch, doch ich habe die Bücher überprüft. Ja, gelegentlich hat Papa Pillendosen gekauft, wirklich nur ab und zu. Und diese Dosen sind in den großen Vitrinen in der Bibliothek ausgestellt. Die in dem Versteck jedoch, die tauchen nirgends auf. Außerdem ist merkwürdig, dass er sie verbarg, obwohl sie viel schöner waren als die anderen. Ich wusste nichts davon, und ich schwöre, auch sonst niemand im Haus – mit Ausnahme von Granville vermutlich, dem Papa als künftigem Erben den Zugang zu dem Versteck erlaubt hatte.«
»Eine geheime Sammlung von Pillendosen also.«
»Ja!« Sie schaute ihn aus schmalen Augen an. »Es gibt keinen anderen Schluss, als dass diese Preziosen als Bezahlung für irgendetwas dienten. Und Granville wusste davon. Anfänglich
wollte mir nichts einfallen, was Papa oder Granville zu ›verkaufen‹ hätten.«
»Allerdings. Weder Granville noch dein Vater hatten Zugriff auf irgendwelche wesentlichen Informationen, für die die Franzosen zahlen würden.
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