Geheimauftrag: Liebe
hielt sie ihr auf und ließ ihr den Vortritt.
Das Haus hatte viele Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten und zumeist keine Vorhänge hatten, sodass der Mond ungehindert in die Flure und Korridore scheinen konnte. Sogar die breite Treppe war von silbrigem Licht übergossen, nur ab und zu leicht verfärbt von den Buntglaseinsätzen des Mittelfensters in der Eingangshalle.
Friede und das Gefühl, einen verlässlichen Halt zu haben, hüllten sie ein, entspannten ihre verkrampften Nerven und beschwichtigten ihre Unruhe. Er erreichte die oberste Stufe, trat in die lange Galerie. Sie machte ein paar Schritte, blieb dann in einem Fleck Mondlicht stehen, den nur die Schatten eines Baumes vor den Fenstern durchzogen. Ihre Wege trennten sich hier. Sie drehte sich zu ihm um.
Er war dicht hinter ihr und blieb nun weniger als einen Fuß von ihr entfernt stehen.
Sie hob den Blick zu seinem Gesicht, wollte ihm eigentlich kühl und gelassen eine gute Nacht wünschen. Stattdessen schaute sie ihm in die Augen. Es war zwar unmöglich, dort etwas zu lesen, aber sie konnte es spüren.
Und erkennen, dass sie sein Verhalten, wie schon so oft, falsch gedeutet hatte.
Er wollte sie küssen – war fest entschlossen, sie erneut zu küssen.
Sie wusste es zweifelsfrei, als sein Blick auf ihre Lippen fiel.
Wusste es, als er den Kopf senkte, als er seine Hand hob, langsam und ohne Hast – ihr mehr als genug Zeit ließ zu reagieren auf das, was er zu tun beabsichtigte. Falls sie wollte.
Natürlich war es nicht klug. Das wusste sie, und doch …
Trotzdem tat sie nichts, als die Luft anzuhalten, sobald seine Hände sie schmerzlich zart berührten und ihr Gesicht umfingen. Behutsam hob er es an, drehte es ein wenig, damit er den Kopf senken und seine Lippen auf ihre drücken konnte.
Von der allerersten Berührung an war sie verloren. Sie wollte es nicht, aber sie tat es. Sie sagte sich, es liege an ihrer Verwirrung, dass sie ihn nicht aufhielt – ihn nicht hinderte, diesen Wahnsinn überhaupt zu beginnen.
Alles Lüge.
Es war Faszination, schlicht und ergreifend. Eine Faszination, der sie nie entwachsen war und würde.
Sein Mund glitt über ihren, kühn und verheerend sicher; ihre Lippen teilten sich, ob auf ihren Befehl hin oder seinen, das wusste sie nicht. Und es war ihr auch egal. Sie spürte seine Zunge zärtlich und fordernd, und sie erschauerte. Merkte es kaum, als er den Kopf drehte und den Kuss vertiefte und eine Hand von ihrem Gesicht nahm, an ihr abwärtsgleiten ließ und um ihre Taille legte, um sie langsam an sich zu ziehen.
Sie folgte hungrig und voller Verlangen, während ein letzter Rest von Vernunft in ihr rebellierte. Und doch war sie unfähig, sich zu wehren gegen dieses Aufwallen von unbezwingbarem Sehnen, das er und nur er allein in ihr weckte – und das nur er stillen konnte.
Nur mit ihm empfand sie so, gerieten ihre Sinne in den Strudel, schmolz ihr Verstand dahin. Nur mit ihm verwandelten sich ihre Knochen in Gelee, während sich unter ihrer Haut Hitze ausbreitete.
Und er wusste es.
Sie hätte viel dafür gegeben, es vor ihm zu verheimlichen. Doch schon vor dreizehn Jahren war es nicht anders gewesen. Auch damals war er sich sicher gewesen, dass sie ihm gehörte. Als seine Hände jetzt unter ihre Kleidung glitten und sich um ihre Mitte schlossen, als er sie fest an sich zog, da geschah das in dem Bewusstsein, dass sie immer noch sein war.
Ihr Atem ging flach; die Arme um seinen Nacken geschlungen, den Busen fest an seine starke Brust gepresst, klammerte sie sich an ihn, während seine Finger sie an den Hüften hielten und sie gegen seine Oberschenkel drückten.
Er rieb sich an ihr, anzüglich und verführerisch. Das Gefühl seines Körpers an ihrem, ganz männliche Kraft, gezügelte Leidenschaft und unverhohlenes Verlangen, stieß eine Tür auf, die sie geschlossen und versperrt hatte – und die, so hatte sie geglaubt, in den Jahren eingerostet war.
Ein fast lebendiger Schmerz durchflutete sie, tiefer, als sie sich erinnerte, mächtiger und bezwingender.
Damals war sie so jung gewesen, gerade erst sechzehn. Was sie damals für beängstigend drängend gehalten hatte, war, das erkannte sie jetzt, ein Nichts verglichen mit dem Verlangen, das sie nun empfand, das sich in ihr aufbaute und wuchs.
O Gott! Sie versuchte sich zurückzulehnen und nach Luft zu schnappen, Zeit zum Nachdenken zu bekommen.
Nur um festzustellen, dass er sie gegen eine Wand drängte. Mit Lippen und Zunge hielt er ihren Mund
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