Geheimauftrag: Liebe
Oberschenkel. »Es ist noch ein anderer im Spiel – jemand, der unabhängig von Nicholas agiert. Kein Partner.«
Diesen Verdacht hatte er bereits gehabt, als er sich über Gimbys schrecklich zugerichteten Leichnam beugte. Nur Nicholas, das wäre zu einfach gewesen und zudem völlig unpassend.
»Meinst du, dass Nicholas diese andere Person kennt oder zumindest weiß, um wen es sich handelt?«
Damit sprach sie den entscheidenden Punkt an, auf den auch Charles keine Antwort wusste. »Das weiß ich nicht – im Moment wenigstens nicht«, erklärte er offen.
Penny schaute ihn an; aus dem Augenwinkel sah er ihren
Blick über seine Reitjacke gleiten, sein Halstuch, sein frisch rasiertes Kinn. Er war im Morgengrauen heimgeritten, hatte gebadet, sich umgezogen und um das Nötigste gekümmert, dann war er zurückgekommen, um Nicholas beim Frühstück zu erschrecken.
»Hast du irgendetwas aus London gehört?«
»Nein, eine Antwort kann frühestens morgen Vormittag eintreffen.« Er richtete sich auf. »Filchett weiß, dass er Norris eine Nachricht schicken soll, falls irgendetwas unerwartet ankommt, aber ich reite jeden Morgen zur Abbey, um nachzusehen. Ich habe meinen Stallmeister und deinen unterrichtet, dass sie alle Informationen an mich weiterleiten müssen.« Er sah sie an und verzog die Lippen. »Es hat eindeutig seine Vorteile, ein geheimnisvoller Kriegsheld zu sein.«
»Hm.« Sie hielt seinen Blick einen Moment, dann schaute sie hinüber zu den Gärten. »Das heißt, wir haben einen Unbekannten, der irgendwo herumlungert und vermutlich Gimbys Mörder ist. Wie entlarven wir ihn?«
Wir gar nicht. Er hielt den Mund, sagte nichts mehr.
Sie runzelte die Stirn. »Vielleicht können wir ihn mit einer Finte aus der Deckung locken? Irgendeine Situation provozieren, die ihn zur Reaktion zwingt – ihn dazu bringt, Nicholas zu kontaktieren, falls er ihn kennt. Oder vielleicht«, sie erwärmte sich immer weiter für ihre Idee, »könnten wir das Gerücht in Umlauf bringen, dass ein Geheimnis zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu entdecken ist …«
»Ehe du dich zu unüberlegten Schritten hinreißen lässt, müssen wir erst auf Nachricht aus London warten.«
Sein trockener Tonfall führte dazu, dass sie sich zu ihm umdrehte. »Ich dachte, du seiest der Wilde und Ungestüme in eurer Familie?«
»Die Jahre haben mich Zurückhaltung und Klugheit gelehrt.«
Sie gab ein abfälliges Geräusch von sich, während er sich ein Lächeln verkniff.
Sie schaute zu den Ställen. »Denkst du, Nicholas wird heute ausreiten?«
»Wenn er sich halb so schlecht fühlt, wie er aussieht, dann bezweifle ich das. Es sei denn, er weiß tatsächlich, wer der Mörder ist.«
Nach einem Augenblick sagte sie: »Es muss einer der fünf Fremden sein, nicht wahr?«
Er zögerte, dann stimmte er ihr zu. »Ich weiß von keinem aus der Gegend, der infrage käme. Ja, einer der fünf Besucher, das wäre auch meine Vermutung.«
»Welcher? Der Chevalier?«
»Das lässt sich schwer sagen, nicht anhand der Gesichter, die sie der Welt zeigen.«
»Wie entlarvt man jemanden?« Sie schaute ihn an, blickte ihm suchend in die Augen. »Und wage nicht, mir vorzuschlagen, es einfach dir zu überlassen.«
Er lächelte schwach, nahm ihre Hand und spielte müßig mit ihren Fingern. »Ich denke, er – wer auch immer es ist – hat gehofft, Gimbys Leichnam würde nicht gefunden werden, wenigstens nicht so bald. Nachdem das aber nun passiert ist, wird er eine Weile Ruhe geben, um nicht aufzufallen, mindestens ein paar Tage. Leider Gottes wird es jedoch nicht lange dauern, und sobald ein wenig Gras über die Sache gewachsen ist …«
Sie konnte seinem Gedankengang mühelos folgen. »Woran ist er eigentlich interessiert? Welchen Zweck verfolgt er?«
Er schwieg einen Moment, während eine Idee Gestalt in ihm annahm. »Rache? Das würde erklären, weshalb Nicholas Angst hat.«
Sie spielten einen Moment die Möglichkeit durch, dass einer ihrer fünf Verdächtigen irgendwie über Nicholas’ Plan gestolpert war und es nun darauf anlegte, alle Beteiligten bitter
büßen zu lassen. »Vielleicht gab es früher irgendein Opfer, unbeabsichtigt, für das die anderen jetzt bezahlen sollen«, schlug Penny vor. »Ein Bruder etwa, der in der Armee gedient hat und gestorben ist, weil ein Geheimnis verraten wurde.«
Er verzog das Gesicht. »Diese Möglichkeit setzt allerdings den Zugriff auf höchst vertrauliche Informationen voraus, aber es ist nicht unmöglich.«
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