Geheimbünde: Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand (German Edition)
behauptet im 17. Jahrhundert der Gelehrte Sir Robert Sibbald. Sibbald ist jedoch nicht nur ein Mann der Wissenschaft, sondern auch dem Okkultismus und der Freimaurerei eng verbunden. Das macht seine Aussagen nicht gerade glaubhaft.
Die Frage, warum Freimaurer zu solchen Mitteln greifen, um sich authentisch zu machen, ist schnell geklärt: Als die Freimaurerei eine europäische Bewegung wird, sucht sie nach historischen Wurzeln. Sie sollen der Bewegung Patina verleihen, sie weniger angreifbar machen. Was alt ist, ist wichtig. Und im Falle der Freimaurer kann es gar nicht alt genug sein. Denn Gegner haben die Logen von Anfang an. Einige davon sind ebenso mächtig wie unerbittlich.
Ritter Kadosch und die Rächer der Templer
Paris, am Morgen des 21. Januar 1793. Dicht gedrängt stehen 20 000 Menschen auf dem Place de la Révolution. Sie erwarten die Ankunft einer Kutsche, die sich vom Hauptturm des Vieux Temple, des ehemaligenHauptquartiers der Templer in Paris, auf den Weg gemacht hat. Darin sitzt schwer bewacht der durch die Revolution abgesetzte französische König Ludwig XVI. Es ist zehn Minuten nach zehn, als der Monarch auf dem Platz eintrifft und aussteigt. Drei Minuten später trennt das Fallbeil der Guillotine seinen Kopf vom Rumpf. Die Menschenmenge jubelt. Die Bürger tauchen ihre Piken und Taschentücher in das Blut des toten Bourbonen.
Die Hinrichtung Ludwigs ist mit einer merkwürdigen Legende verbunden. Sie besagt, ein Mann habe sich in der vor Begeisterung rasenden Menge nach vorne schieben können. Er sei auf die Richtstätte gestürmt, habe den Kopf aus dem Weidekorb gerissen, ihn der Menge gezeigt und gerufen: «Jacques de Molay, endlich bist du gerächt!» Natürlich ist die Geschichte des unbekannten Schafott-Stürmers etwas, das Historiker nur müde lächeln lässt. Unwahr bis ins Mark, durch kein zeitgenössisches Dokument gesichert. Doch irgendjemand muss diese Legende in Umlauf gebracht und mit ihr etwas bezweckt haben. Tatsächlich ist in die Geschichte trickreich ein Subtext eingearbeitet, der eine Verschwörungstheorie erzählt. Sie besagt: Als die Revolution das alte Regime hinwegfegt und das gottgegebene Bündnis aus Thron und Altar zerschlägt, geschieht dies von langer Hand geplant auf Geheiß einer Organisation, die sich als Erbe der Templer sieht. Wer zur Revolutionszeit und danach die Legende hört, weiß sofort, dass der Unbekannte am Schafott ein Freimaurer ist.
Die Botschaft ist klar: Das Volk wird manipuliert und missbraucht – von einem Geheimbund, in dessen Hierarchien es heute noch den Grad eines «Tempelritters» gibt und eines «Ritter-Kommandeurs des Tempels». Auch das Kadosch-Ritual des 30. Grades Alten und Angenommenen Schottischen Ritus kann spielend leicht als Beweis für den militanten Kampf der Logen gegen Thron und Altar herangezogen werden. Darin symbolisieren ein Dolch und zwei Schädel die Rache der Freimaurer für den Tod des letzten Templer-Großmeisters Jacques de Molay, der von Philipp IV. und Papst Clemens V. auf den Scheiterhaufen gebracht wurde. Etwas hilfloserscheint die Argumentation der Freimaurer, das Ritual sei ein symbolischer Aufruf, die Gesellschaft so positiv zu verändern, dass es keine Gräueltaten gegen Andersdenkende mehr geben wird.
Kaum entstehen Logen auch außerhalb Englands, hagelt es schon Verbote. Die ersten verhängen 1735 die protestantischen Staaten Holland und Friesland. Ein Jahr später verbietet das calvinistische Genf seinen Bürgern den Logenbeitritt, ebenso Hamburg und Paris. 1738 erlässt Clemens XII. dann als erster von sechs Päpsten eine Rechtsakte, eine sogenannte Bulle, gegen das Freimaurertum. In den folgenden Jahrzehnten steigern sich die Anfeindungen aus dem Vatikan bis zu dem Vorwurf, die Freimaurerei sei «eine Synagoge des Satans», eine «unreine Seuche», die es auszurotten gelte. Sie strebe die Weltherrschaft an, um die christliche Zivilisation zu zerstören. Bei Strafe der Exkommunikation wird allen Katholiken der Beitritt zu Freimaurerverbänden verboten.
Im 18. Jahrhundert wirken die Werte und Ziele der Freimaurerei wie ein Gegenentwurf zur gesellschaftlichen Realität. Das provoziert Reaktionen seitens der absolutistischen Staaten und Glaubenshüter, zumal diese rätselhaften Logen wie aus dem Nichts in ganz Europa aus dem Boden schießen. Besonders in Portugal, Spanien und Italien, wo die Macht der katholischen Kirche ungebrochen ist, trifft die Freimaurer brutale Verfolgung:
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