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Geheime Depeschen

Geheime Depeschen

Titel: Geheime Depeschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Sturm
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Hardcore-Hippies. In Byron Bay fanden sie Möglichkeiten, neue Lebensformen zu erproben und über das nachzudenken, was der so genannten zivilisierten Gesellschaft fehlte; und genau das lebten sie dort das. Niemand versuchte sie in diesem Land daran zu hindern.
    Im Radio lief „Loose Ends“ von Jimi Hendrix. William zündelte gerade Räucherstäbchen an, während sich die Älteren aus der Kommune einen Joint ansteckten, der rund gereicht wurde. Er musste sich extrem bücken, um von seinem Holzstamm aus das Rauchwerk zu erreichen, und hätte fast das Gleichgewicht verloren, als ihn jemand an der Schulter packte. Aus dieser Perspektive sah er vor sich lediglich ein paar Füße in Jesuslatschen.
    „Peace, Kleiner. Kann ich mal deine Streichhölzer haben?“
    William schreckte hoch und blickte auf ein quietschgelbes „Make love, not war“-Shirt.
    „… ähm, ja!“, antwortete er schüchtern. Vor ihm stand Scott. Der gehörte zu jener Fraktion, die auch zum Surfen hier war, nicht nur wegen ihrer politischen Einstellungen. Wenn Scott nicht gerade auf irgendeinem Mädchen lag oder mit Williams Mutter schlief, nahm er ihn mit an den Strand. Zum Surfen und Philosophieren. Scott war permanent in Abwehr, ein Rebell mit einer eigenen Vorstellung von Revolution. Sein Lieblingswort war „Eigentumsscheiße“. Damit brachte er sein Angewidert-sein vom Materialismus, der Gewinnsucht und der Gefühlskälte unserer Gesellschaft zum Ausdruck. William war damals mehr angewidert von dem Gedanken, wer es noch alles mit seiner Mutter trieb. Scott war noch irgendwie o.k., er interessierte sich wenigstens etwas für ihn.
    Scott zündete seinen Joint an und wollte ihn offenbar nicht mit anderen teilen.
    „Komm mit, wir gehen an den Strand“, sagte er.
    William folgte ihm kommentarlos. Diese Sit-ins am Lagerfeuer, die immer gleich anfingen und gleich endeten - alle stürzten splitternackt ins Meer, wie die Lemminge -, waren nichts für ihn. Er fragte sich, wie man die Welt auf diese Art verändern wollte. Wann unternahm endlich mal jemand wirklich was gegen die Missstände, die man stundenlang anprangerte? Totsingen oder Totvögeln konnte doch nicht die Lösung sein.
    Auch das gefiel ihm an Scott: Der kümmerte sich wenigstens darum, dass die Kommune funktionierte und man mit alternativen Einnahmequellen überhaupt hier sesshaft sein konnte. Er war einer, der etwas unternahm. Ohne Scott wären alle schon längst verhungert. Er war ein Beispiel dafür, dass man sich nicht nur Gedanken machen, sondern sie auch in die Tat umsetzen musste.
    „Du siehst traurig aus“, riss Scott William aus seinen Gedanken.
    „Wieso? Wie kommst du darauf?“
    „Ich schau dich an und du siehst traurig aus. Bist du es?“
    Wie einfach das klang, dachte William, ohne Interpretation, ohne Mutmaßung, einfach eine Feststellung.
    „Traurig nicht, vielleicht ein wenig unglücklich!“, gab er zu.
    „Siehst du!“ Scott konnte sehr einsilbig sein, doch wenn er etwas sagte, traf er mit wenigen Worten den Kern; oder er sprach mehrdeutig, fast philosophisch. Das mochte vielleicht am Haschisch liegen. Vielleicht sprach er ja auch nur Unsinn und Williams Interpretationen machten daraus mehr.
    „Was soll ich sehen? Dass ich unglücklich bin? Oder gibt es hier etwas Besonderes, das mich aufheitern könnte“
    Scott zeigte mit dem Finger aufs Meer.
    „Ich sehe nichts“, bemerkte William.
    „Genau!“, antwortete Scott knapp.
    „Wie jetzt?“, fragte William verdutzt nach.
    „Du siehst Nichts.“ Scott klang wie immer äußerst gleichgültig.
    „Was sehe ich nicht?“ William wurde ungeduldig.
    „Würdest du es sehen“ - und dabei betonte Scott das „es“ -, „dann wärst du glücklich.“
    „Und was, bitteschön, soll dieses ES sein?“ William verstand überhaupt nichts mehr.
    Scott stand auf, bemerkte noch „Du wirst es schon herausfinden“ und ging wortlos zum Camp zurück. William war zu überrascht und beschäftigt mit diesem letzten Satz, als dass er ihm hinterherlaufen konnte.
    „Es! Wirst es schon herausfinden!“, äffte er Scott nach. „Ja was denn?“
    William blickte aufs Meer. Seine Gedanken kreisten um das, was Scott ihm hatte mitteilen wollen.
    Die Sonne ging langsam unter und tauchte rot ins Meer. Wie wunderbar das immer wieder aussah, Tag für Tag. Da wurde William schlagartig klar, was „es“ bedeutete, was wichtig war im Leben, um glücklich zu sein. Schnell rannte er zurück zu den Anderen.
    Williams Mutter saß bereits am

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