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Geheime Depeschen

Geheime Depeschen

Titel: Geheime Depeschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Sturm
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keine Sorgen. Außerdem bist du im Londoner Gefängnis sicherer als hier auf der Straße.“
    William schaute sich um. Christian hatte Recht, sie mussten irgendwo hin, wo es viele Menschen gab.
    „Lass uns in die Old Brompton Road etwas essen gehen, wer weiß was sie mir ab morgen vorsetzen.“
    Christian lachte kurz auf. Williams Kampfgeist war also noch ungebrochen. Die Zeit im Gefängnis würde er auf einer Arschbacke absitzen.
    Sie beeilten sich, in die belebte Straße zu kommen. William drehte sich immer wieder zwanghaft um. Dieser Verfolgungswahn war der Preis für das Leben, das er führte. Im Prinzip hatte das bereits in seiner Kindheit angefangen.

Australien, 1980
    Seine Mutter hatte beim MardiGrass-Festival in Nimbin Williams Stiefvater kennen gelernt, einen Musiker. Anfangs war alles rosarot, und Zeuge der neuen Liebe war Williams Halbbruder.
    Doch die neue Beziehung lief schon bald aus dem Ruder, der Stiefvater erwies sich als gewalttätig und zornig. William konnte sich genau erinnern, wie er erst seine Mutter und anschließend ihn verprügelte, wenn er mal wieder besoffen nach Hause kam. Und das kam oft vor. Diese Szenen voller Hass und Gewalt hatten sich in sein Gehirn gebrannt, besonders der letzte Abend, bevor sich seine Mutter mit ihm und seinem Halbbruder aus dem Staub machte und sie gemeinsam untertauchten.
    William lag bereits in seinem Bett, konnte aber wie so oft nicht einschlafen. Sein Stiefvater machte, wenn er voll nach Hause kam und in Prügellaune war, keinen Halt davor, den Jungen zu wecken und zu „bestrafen“, wie er es nannte. Sein kleiner Halbbruder schlief tief und fest. William lauschte in die Nacht, um zu hören, wann sein Peiniger von der üblichen Sauftour nach Hause kam. Unüberhörbar nahm er sich zuerst seine Mutter vor.
    „Du Hure!“, schrie er sie an, als er zur Tür herein kam, „du verfickte Hure!“
    William hörte, wie etwas an der Wand zerschellte. Christine versuchte ihn zu besänftigen.
    „Aber ich liebe doch nur dich!“, flehte sie ihn an.
    „Mit wem hast du heute rumgevögelt, hä?“, brüllte er weiter. Er war völlig von Sinnen, und es war ihm völlig egal, was man antwortete. Er suchte einfach jemanden, an dem er seine Wut auslassen konnte, jemanden, der ihm körperlich unterlegen war.
    William hörte, wie er auf seine Mutter eindrosch, und er wusste: wenn er mit ihr fertig war, kam er zu ihm hoch.
    Christine wimmerte.„Nicht die Kinder … Bestraf mich meinetwegen, aber nicht die Kinder.“
    Sie konnte ihn aber nicht davon abhalten. Gekrümmt vor Schmerzen lag sie auf dem Boden. William hörte ihn näher kommen.
    „Und jetzt zu euch, ihr Rotzgören“, schrie er durch den Flur. Die Tür flog auf und schlug fast aus den Zargen. Da stand dieser Tyrann, im Flurlicht - wie ein unheilvoller Schatten zeichnete sich seine Statur im Türrahmen ab -, und zog seinen Hosengürtel aus den Schlaufen seiner Hose. William versteckte sich unter der Decke, als wenn das etwas helfen könnte. Er zog ihn an einem Arm aus dem Bett, so brutal, dass William das Gefühl hatte, er würde ihm ausgekugelt.
    „Nein, nicht!“, jammerte er, doch sein Stiefvater kannte keine Gnade.
    „Du Hurensohn! Du undankbarer Hurensohn!“, zischte er durch seine Zähne und zwang William, vor einem Stuhl zu knien.„Zieh die Hose runter!“, befahl er.
    William wollte ihn nicht noch mehr reizen und ließ die Prozedur über sich ergehen. Wie ein Wahnsinniger prügelte der Betrunkene mit der Gürtelschnalle auf ihn ein. Bei jedem Hieb brüllte er Silbe für Silbe: „Du klei-nes Mist-stück, Sohn ei-ner Hu-re!“ Irgendwann hörte es auf weh zu tun. Es fühlte sich nur noch taub an, und William betete in Gedanken zu Gott, dass es endlich aufhörte. Auch wenn man ihn atheistisch erzogen hatte, in diesem Moment wünschte er sich einen Gott, der diesen Mann für seine Missetaten bestrafte und sein Martyrium beendete.
    Irgendwann ließ sein Peiniger von ihm ab und torkelte ins Schlafzimmer, wo er erschöpft aufs Bett und in einen segenreichen Schlaf fiel. Er schnarchte.
    William traute sich kaum, sich zu bewegen, erkniete immer noch vor dem Stuhl. Ängstlich blickte er zum Türrahmen, in der Hoffnung, dass er nicht noch einmal zurückkam. Er hörte Schritte und befürchtete, dass die Tortur an diesem Abend noch nicht zu Ende war. Doch es war seine Mutter, die sich gekrümmt am Türrahmen festhielt. William versuchte aufzustehen, fiel jedoch auf den Boden, er war zu erschöpft. Er spürte, dass

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