Geheime Depeschen
Lagerfeuer. Er umarmte sie, warf sie fast um. Sein Vater hatte sie beide zwar verlassen, aber William hatte immer noch sie und diese Augenblicke in ihren Armen, wohlbehütet. Sie streichelte über seinen Kopf und war glücklich, weil er da war. Jemand spielte Gitarre, einige sangen dazu. Scott hatte Recht, es brauchte nicht viel um glücklich zu sein.
Am nächsten Morgen wachte William neben dem erloschenen Lagerfeuer auf. Er hatte sich dort mit seiner Mutter hingelegt und war in ihren Armen eingeschlafen. Die Sonne brannte in seinen Augen, er musste blinzeln. Obwohl es bereits sehr heiß war, fröstelte es ihn am Rücken, genau dort wo, seine Mutter gelegen hatte, die jetzt weg war. Er drehte sich um und stellte fest, dass überhaupt niemand mehr da war.
„Kommst du William, wir müssen los!“ Da war sie wieder, die vertraute Stimme. “Heute beginnt das MardiGrass Festival, wir müssen nach Nimbin.“
Scott hatte seinen bunten Bulli vorgefahren, den William so mochte. Schnell klopfte er sich den hartnäckigen Sand ab und sprang in den Bus, der schon voll besetzt war.
Sonst, wenn sie einen Trip mit dem Bus unternahmen, ging es lustiger zu. Alle sangen und amüsierten sich. Heute war das leider anders. Auf der Fahrt zum Festival gab es nur zwei Themen, über die diskutiert wurde: der sowjetisch-afghanische Krieg und die Geiselnahme von Teheran.
Sowjetische Truppen führten seit einigen Monaten in Afghanistan Krieg. Die halbe Welt verurteilte die Besetzung des Landes am Hindukusch, viele westliche Staaten boykottierten deshalb die Olympischen Sommerspiele in Moskau. Große Teile der afghanischen Armee schlossen sich dem Widerstand an, die Mudschaheddin erfuhren internationale Unterstützung.
Der Krieg wurde rücksichtslos und grausam geführt. Die „Warlords“, Anführer sieben islamischer Parteien, hatten zwar eine Allianz gegründet, waren aber untereinander dennoch zerstritten.
Führende Mitglieder der CIA betrachteten diesen Krieg nicht nur als Notwendigkeit im Kampf gegen den Kommunismus, sondern sie sahen darin auch eine Chance, den verlorenen Vietnamkrieg vergessen zu machen. Die USA und Saudi-Arabien stellten den Aufständischen Finanzmittel zur Verfügung, und die CIA organisierte Waffenlieferungen aus China, Ägypten, Israel, Großbritannien und natürlich den USA selbst an den pakistanischen Geheimdienst, der die Mudschaheddin-Gruppen organisierte und ausbildete.
Das zweite große Thema dieser Monate war die Geiselnahme von Teheran. Vierhundert iranische Studenten hatten Ende 1979 die amerikanische Botschaft besetzt und US-Diplomaten als Geiseln genommen, um die Auslieferung des früheren Schahs Reza Pahlavi zu bewirken. Die von den USA durchgeführte geheime Befreiungsaktion im April endete mit einem Desaster - ein Sandsturm lies die Mission kläglich scheitern.
Für Williams Mutter stand fest, dass beide Ereignisse in einem Zusammenhang standen; obwohl es dafür keine Beweise gab, glaubte sie, dass Amerika und andere Großmächte im Hintergrund die Fäden zogen. Die Medien erzählten eine andere Geschichte.
Williams Mutter stritt mit John, auch wenn es alle Diskutieren nannten. Gerrit mischte kräftig mit, obwohl er anscheinend überhaupt keine Ahnung hatte; und Gwen fummelte vom Beifahrersitz aus an Scott herum.
„Wenn du mich fragst, ist das wieder eine dieser typischen Inszenierungen der Geheimdienste, einen Krieg anzuzetteln, um der Waffenlobby fette Waffenverkäufe zuzuschustern“, redete sich Christine gerade warm.
„Ich sehe das etwas differenzierter“, ging John wie gewohnt in Opposition. „Weiß Gott, ich will diese Idioten nicht in Schutz nehmen, so einfach ist es aber dann auch wieder nicht.“ Egal, was man sagte, John konterte immer mit „das sei etwas differenzierter“ oder „man könne das nicht so vereinfachen“.
Irgendwie wollte er damit oberschlau wirken, und das funktionierte größtenteils auch. Es war zugleich auch Beleg seiner Herkunft. Seine Eltern, beide Lehrer, erzogen ihn zum freien Denken, alles zu hinterfragen. Teilweise ging dies soweit, dass er sich darin verzettelte. Es passte auch irgendwie zu seiner schlaksigen Art, die durch seine Körpergröße von fast einem Meter und neunzig unterstrichen wurde. So wie er alles differenzierte, so unterschiedlich waren auch seine Interessen. Eigentlich machte er von allem etwas, aber nichts wirklich richtig. Insgeheim nannten ihn alle „Diffi“, wegen seiner Macke.
„Was gibt es denn da zu
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