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Geheime Depeschen

Geheime Depeschen

Titel: Geheime Depeschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Sturm
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ihn seine Mutter liebevoll in den Arm nahm.
    „Wir packen!“, flüsterte sie ihm ins Ohr „lass uns hier verschwinden!“
    Im Flurlicht konnte er erkennen, wie übel seine Mutter zugerichtet worden war. Das eine Auge war komplettzugeschwollen, der ganze Körper übersät mit blauen Flecken. Auch Williams Rücken und Hintern waren voller Striemen, aus denen es blutete.
    Sie nahmen nur die wichtigsten Sachen mit, die man mit zwei Händen tragen konnte. Als sie vor dem Haus standen, blickten sie ein letztes Mal zurück und waren erleichtert, diesen grauenvollen Lebensabschnitt hinter sich zu lassen.
     
    In den folgenden Jahren wohnten sie bei unterschiedlichen Freunden, zogen oft um, teilweise unter falschen Namen, denn ihr Stiefvater gehörte einer australischen Sekte an, die sich „die Familie“ nannte, einem unsichtbaren Netzwerk, das von den Anhängerinnen des Kults verlangte, ihre neugeborenen Kinder dem Anführer zu opfern.
    Christine und William hatten panische Angst, von ihm aufgespürt zu werden. Die Sekte hatte einflussreiche Mitglieder bis hinauf in einflussreichste Regierungsämter, die seinen Stiefvater ständig mit Informationen über seinen Aufenthalt und den seiner Mutter und seines Halbbruders versorgten.
    Fünf Jahre lang lebten sie deshalb im Untergrund. Es waren prägende Jahre für William, er war 16, als dieser Albtraum zu Ende ging.

London, 06.12.2010
    In der Old Brompton Road herrschte ein reges Treiben. Sie kamen an unzähligen Pubs und Geschäften vorbei, bis sie vor einem Restaurant anhielten, das ihren Vorstellungen entsprach. Das Madsen bot skandinavische Küche an. Christian und William schauten durch die Schaufenster. Die Ziegelsteinwände waren weiß getüncht und schlossen zur Decke hin mit Stuckornamenten ab, die Einrichtung in dem typisch spartanisch geradlinigen Design aus Holz, wie man es aus Nordeuropa kannte. Es sah hell, freundlich und einladend aus. Ein kleiner runder Tisch unmittelbar an der Theke war noch frei. Und auch die Speisekarte las sich hervorragend. Die Vorspeisen versprachen kleine, frische Appetizer, und die Menüs erinnerten fast ein wenig an Schweden, wo William einige Zeit seines Lebens verbrachte.
    William bestellte ein Menü, die Vorspeise bestand aus drei unterschiedlich marinierten Heringen, der Hauptgang aus Entenschenkel mit Rotkraut und Bratkartoffeln. Als Nachspeise gab es dänischen Reispudding mit heißer Cherrysoße.
    Christian hatte bereits gegessen und bestellte nur ein dunkles Ale.
    „Ist irgendwie schon wie eine Henkersmahlzeit“, bemerkte William.
    „Nur, dass du auch morgen Abend noch lebst.“ Christian zog die Augenbrauen hoch „Die Amerikaner werden dich nicht zum Märtyrer machen, glaub mir.“
    „Wer weiß, was sie sich noch alles einfallen lassen. Wir werden sehen. Angst habe ich jedenfalls keine. Es wäre nur schade wegen dem Projekt.“ William war sich nicht sicher, ob jemand anderes so zielstrebig weiter machen würde, wenn ihm etwas zustieße. „Mmh, lass mal überlegen, was könnten sie mir noch anhängen?“
    „Das schlechte Wetter?“, witzelte Christian, und William musste grinsen.
    „Ja, wahrscheinlich bin ich daran auch noch schuld.“
    Die Bedienung brachte Christians Ale an den Tisch.
    „Hattest du nichts zu trinken bestellt?“ Christian wollte gerade ein zweites Ale ordern.
    „Nee, lass mal, ich versuche, nicht so viel zu trinken. Und schon gar kein Bier. Die Gefängnistoiletten sind nicht so mein Ding, die möchte ich eigentlich nur im äußersten Notfall benutzen.“
    Das Pärchen am Nachbartisch bekam spitze Ohren.
    William wurde leiser und beugte sich über den Tisch.„Was darf ich eigentlich morgen erzählen? Sollten wir das nicht miteinander abstimmen?“
    „Bleib locker. Du gibst deine Personalien an und sagst zu den Vorwürfen gar nichts, außer, dass sie mich fragen sollen, du schon einmal zu diesen Anschuldigungen befragt wurdest und sich seitdem nichts geändert hat.“ Christian nahm einen kräftigen Schluck vom Ale und wischte sich den kleinen Schaumrand an seinen Lippen ab. „Es geht nicht um dein Portal, es geht um Vergewaltigung.“
    „Noch nicht!“, erwiderte William knapp.
    Dem Pärchen am Nachbartisch wurde die Unterhaltung der beiden langsam unangenehm, sie hatten nur Gefängnis und Vergewaltigung verstanden. Sie machten Anzeichen, bezahlen und gehen zu wollen. Williams Vorspeise kam zusammen mit ihrer Nachspeise kam, doch die beiden wollten sie nicht mehr.
    „Hat es Ihnen nicht

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