Geheime Macht
strömen. Rechts von uns führte eine geschwungene Treppe nach oben. Hier war es wie in einem Palast. Alles war elegant und irgendwie zeitlos.
Es roch nach Wein, Zimt und einem anderen seltsamen, aber vertrauten Aroma … Oregano … nein, Majoran, vermischt mit der vollen, rauchigen Süße von Myrrhe. »Interessantes Potpourri.«
»Sehr würzig.« Raphael wandte sich mir zu und zeigte immer noch sein mitreißendes Lächeln. »Schwer zu sagen, ob er mit diesen Düften etwas richtig Übles übertünchen will.«
Wir standen für einen langen Moment nur da, atmeten mit bebenden Nasenflügeln und versuchten, die Mischung in einzelne Duftnoten aufzulösen.
»Ich muss passen«, sagte ich. Falls die Mischung aus Kräutern und Harzen irgendeinen Gestank überdeckte, konnte ich ihn nicht aufspüren.
Raphael runzelte die Stirn. »Ich ebenfalls.«
Überall glitten Leute über den Fußboden, Männer in Smokings und maßgeschneiderten Anzügen, Frauen in teuren Kleidern und mit schimmerndem Schmuck. Sie wirkten wie die Diener eines altertümlichen Tyrannen. Von irgendwo oben rieselte Musik herab, sanft, exotisch und unaufdringlich, wie der Hauch eines faszinierenden Parfüms.
»Irgendwie habe ich das seltsame Gefühl, mich an einem Fürstenhof zu befinden«, murmelte ich.
»Und dort kommt auch schon der König höchstpersönlich«, sagte Raphael.
Die Gäste teilten sich, und ich sah ihn ebenfalls. Ein Mann von durchschnittlicher Größe mit einer vollen Mähne aus lockigem Haar in der Farbe von hellem Bernstein. Ein teurer Anzug in Hellgrau umriss seine schlanke Gestalt. Er drehte sich um.
Hui! Anapa war ein hübscher Kerl.
Er war Ende dreißig, fast vierzig. Sein schmales Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen und dem starken Kinn war maskulin, aber es war eine zivilisierte Maskulinität, verfeinert, aristokratisch und sorgsam gepflegt. Manche reiche Männer trieben es mit der Körperpflege zu weit, wenn sie sich die Augenbrauen stutzten und das Kinn rasierten, bis sie fast schon feminin aussahen. Anapa hatte diese Grenze nicht überschritten. Sein Haar war perfekt frisiert, aber ein wenig zerzaust. Seine Augenbrauen hatten noch eine leichte Struppigkeit. Seine Lippen waren voll und markant, aber auf Wangen und Kinn zeigte sich die Möglichkeit baldiger Stoppelbildung. Seine großen blauen Augen mit den langen Wimpern verrieten einen lebhaften Intellekt und einen Funken Humor. Seine Haut war für jemanden mit blondem Haar recht dunkel und hatte die Aura von Süden, Sonne und blauem Meer. Er wirkte nicht im Geringsten nordisch, sondern eher mediterran.
Er sah uns und lächelte, die Lachfältchen betonten seine Augenwinkel. Es war ein warmes, freundliches Lächeln, als würde er etwas an uns unglaublich amüsant finden und könnte es gar nicht erwarten, es uns mitzuteilen.
»Wir wurden bemerkt«, sagte Raphael und ging auf Anapa zu.
Wir schlenderten durch die Menge auf unseren Gastgeber zu. »Welche Rollen spielen wir hier?«
»Ich bin ein Geschäftsmann, und du bist meine bezaubernde, hirnlose Partybegleitung.«
Bezaubernde, hirnlose Partybegleitung? »Gut, dass Rebecca nicht hier ist, sonst könnte sie auf die Idee kommen, ich würde in ihrem Revier wildern.«
»Sie würde gar nicht verstehen, was diese Redensart bedeutet«, sagte Raphael mit ausdrucksloser Miene.
»Ach, sie ist also gar nicht eifersüchtig?«
»Nein, sie würde wirklich nicht verstehen, wovon du sprichst.«
Ha!
Vor uns trat eine Frau im blauen Kleid zur Seite, dann kam Anapa auf uns zu.
»Mr Medrano.« Anapa reichte ihm die Hand.
Raphael schüttelte sie. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
Ich klapperte mit den Lidern, um einen möglichst hirnlosen Eindruck zu machen.
»Danke, vielen Dank.« Dann sah Anapa mich an, immer noch lächelnd und mit anerkennendem Blick. In seinen Augen war keine Spur von sexuellem Interesse. Er musterte mich eher so, wie man einen gut gebauten Hund betrachtete. Oder ein Pferd. »Und Sie sind offenbar seine reizende Begleiterin.«
Ich verfiel in mein texanisches Näseln und reichte ihm meine Hand. »Gut’n Abend. Freut mich, Sie kenn’zulernen.«
Anapa nahm meine Finger in die Hand. Er hob sie, als wollte er sie küssen, hielt dann inne und inhalierte stattdessen genüsslich meinen Duft. »Hmm.« Er gluckste leise. »Sie haben einen äußerst faszinierenden Körper.«
Jetzt wurde es etwas verrückt.
Raphael setzte sich in Bewegung und manövrierte sich behutsam zwischen mich und Anapa. Er
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