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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Ahnung. Wir dachten doch, die Kinder wären einfach nur arm.«
    Grace nimmt ihr das Handy ab. Sie ist ebenso aufgebracht wie Hannah. »Unterwegs nach Bognor gibt es auf halber Strecke ein Café, Salvo. Reisebusse willkommen. Hannah und ich, wir haben mit dem Café alles ausgehandelt. Dreißigmal Chicken Nuggets, kostenlose Mahlzeiten für die Betreuer und den Fahrer. Ein Kaltgetränk für jeden. Hundert Pfund. Ist das fair?«
    »Sehr fair, Grace. Sehr anständig, würde ich sagen.«
    »Der Fahrer, er kennt das Café, er macht mit seinen Reisegruppen schon seit fünfzehn Jahren da Rast. Schulklassen, Jugendclubs, alle möglichen Kids. Aber alle weiß. Als dem Besitzer klarwurde, daß unsere Kids alle schwarz sein würden, ist ihm urplötzlich eine neue Regel eingefallen. ›Es ist wegen den Senioren‹, hat er gesagt. ›Die wollen ihre Ruhe haben. Darum bedienen wir keine Kinder mehr, nur weiße.‹«
    »Weißt du was, Salvo?« Hannah ist wieder da, und diesmal klingt sie kampflustig.
    »Was denn, Liebes?«
    »Vielleicht sollte der Kongo mal in Bognor einmarschieren.«
    Ich lache, sie lacht. Soll ich ihr von meinem brillanten Plan erz ählen und sie noch mehr aufregen, oder warte ich damit lieber bis später? Lieber warten, sage ich mir. Mit der Suche nach Baptiste hat sie fürs erste genug am Hals.
    Mein brillanter Plan verlangt nach Schriftlichem.
    Ich setze mich an meinen Laptop und arbeite f ünf Stunden durch, nur gestärkt von einem Stück kalter Lasagne. Anhand der brisantesten Passagen von den Kassetten und Stenoblöcken, die ich, wo nötig, ins Englische übersetze, plus einer Auswahl an PhilipZitaten aus seinem Telefonat, stelle ich ein vernichtendes Exposé der Intrige zusammen, die laut Mr. Anderson im besten Interesse unseres Landes sein sollte. Unter Verzicht auf jede traditionelle Anrede gehe ich gleich aufs Ganze: Da ich Sie als integren Ehrenmann kenne … Da ich ihn außerdem als einen ebenso gründlichen wie langsamen Leser kenne, der größten Wert auf einen schnörkellosen Stil legt, beschränke ich mich auf zwanzig sorgsam durchkomponierte Seiten, die mit einem Bericht von dem Einbruch in die Norfolk Mansions enden. Zum krönenden Abschluß verpasse ich meinem vollendeten Opus den Titel J’accuse!, nach Émile Zolas unerschrockener Streitschrift für den Hauptmann Dreyfus, dieser Saga moralischer Beharrlichkeit, die Pater Michael so geliebt hat. Ich kopiere alles auf Diskette und laufe nach unten zu Mrs. Hakim, die einen Drucker hat. Dann zerbreche ich die Diskette, werfe sie in der Küche in den Müll, verstaue die gestohlenen Kassetten und Stenoblöcke samt meinem Ausdruck von J’accuse! in ihrem Versteck hinter dem altersschwachen Kleiderschrank und schalte die Achtzehn-Uhr-Nachrichten ein, die zu meiner Freude immer noch keine beunruhigenden Meldungen über ein wild gewordenes Zebra auf der Flucht bringen.
    * * *
    Ich war wenig begeistert von den operativen Vorbereitungen f ür unser Stelldichein mit Baptiste, aber das hatte ich auch nicht anders erwartet. Da er seine der zeitige Adresse keinesfalls preisgeben wollte, hatten Hannah und er über meinen Kopf hinweg vereinbart, daß sie mit mir am selben Abend um halb elf in Rico’s Coffee Parlour in der Fleet Street warten würde. Dort würde uns ein namenloser Waffenbruder abholen und an ein namenloses Ziel verbringen. Mein erster Gedanke galt den Bändern und Blöcken. Mitnehmen oder im Versteck lassen? Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, daß ich sie Baptiste gleich bei unserer ersten Begegnung aushändigen würde, aber aus Solidarität mit Hannah mußte ich sie wohl oder übel einstecken.
    Nach den R ückschlägen des Vormittags und den Anstrengungen des Nachmittags rechnete ich damit, daß sie düsterer Stimmung sein würde, doch zu meiner Erleichterung war sie blendend gelaunt. Grund dafür war Noah, mit dem sie eine Stunde zuvor ausgiebig telefoniert hatte. Wie üblich hatte sie zuerst mit ihrer Tante gesprochen, für den Fall, daß es schlechte Neuigkeiten gab, aber die Tante hatte nur gesagt: »Er soll es dir selber sagen, Hannah« und ihn an den Apparat geholt.
    »Stell dir vor, Salvo, er hat die drittbesten Noten in der ganzen Klasse«, erzählte sie strahlend. »Wir haben Englisch miteinander gesprochen, er ist schon richtig gut. Ich konnte es kaum glauben. Und gestern hat seine Fußballmannschaft die Stadtmeisterschaft von Kampala gewonnen, und Noah hätte fast ein Tor geschossen.«
    W ährend ich mich noch mit ihr freute,

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