Geheime Spiel
fragte Hannah. »Findest du das nicht aufregend? «
Emmeline schnaubte verächtlich. »Ich finde es hinterhältig. Das finde ich. Und albern. Und Papa wird das genauso sehen. Arbeiten, um England im Krieg zu unterstützen, ist eine Sache, aber das … Es ist einfach lächerlich , und du schlägst es dir am besten gleich aus dem Kopf, denn Papa wird es niemals gestatten.«
»Deswegen werde ich beim Abendessen mit ihm darüber sprechen. Das ist die perfekte Gelegenheit. Wenn Gäste am Tisch sitzen, wird er ja sagen müssen. Vor allem bei diesen Amerikanern mit ihren modernen Ideen.«
»Ich fasse es nicht. Selbst jemand wie du müsste wissen, dass das absolut unangebracht ist«, sagte Emmeline wütend.
»Ich verstehe gar nicht, warum du dich so aufregst.«
»Weil … es ist … es kann nicht …« Emmeline fehlten die Worte. »Weil du heute Abend die Gastgeberin bist, aber anstatt dafür zu sorgen, dass alles glattläuft, willst du Papa in Verlegenheit bringen. Du willst ihm vor den Luxtons eine Szene machen.«
»Ich werde ihm keine Szene machen.«
»Das sagst du immer, und dann tust du es trotzdem. Warum kannst du nicht einfach …«
»Normal sein?«
»Du bist vollkommen verrückt geworden. Wer will denn schon in einem Büro arbeiten?«
»Ich möchte die Welt sehen. Reisen.«
»Nach London?«
»Das ist der erste Schritt«, entgegnete Hannah. »Ich möchte unabhängig sein. Interessante Leute kennenlernen. «
»Interessantere als mich, willst du damit wohl sagen.«
»Sei nicht albern«, sagte Hannah. »Ich meine neue Leute, die etwas zu erzählen haben. Dinge, die ich noch nie gehört habe. Ich möchte frei sein, Emmeline. Offen für jede Art von Abenteuer, das mir begegnet und mich mitreißt.«
Ich warf einen Blick auf die Wanduhr in Emmelines Zimmer. Vier Uhr. Mr Hamilton würde mir den Kopf abreißen, wenn ich nicht bald unten erschien. Aber ich wollte unbedingt noch mehr hören, erfahren, von welcher Art Abenteuern Hannah träumte. Hin und her gerissen, schloss ich einen Kompromiss. Ich machte den Kleiderschrank zu, legte mir das blaue Kleid über den Arm, ging zur Tür und blieb zögernd stehen.
Emmeline saß immer noch mit der Haarbürste in der Hand auf dem Boden. »Du könntest doch irgendwohin fahren und Papas Freunde besuchen. Ich könnte auch mitkommen«, sagte sie. »Zu den Rothermeres in Edinburgh …«
»Und mich von Lady Rothermere auf Schritt und Tritt beaufsichtigen zu lassen? Oder schlimmer noch, mich mit ihren schrecklichen Töchtern abzugeben?«, fragte Hannah verächtlich. »Das kann man wohl kaum Unabhängigkeit nennen.«
»In einem Büro zu arbeiten auch nicht.«
»Vielleicht nicht, aber ich brauche schließlich Geld. Ich werde weder betteln noch stehlen, und ich wüsste niemanden, von dem ich mir etwas leihen könnte.«
»Und was ist mit Papa?«
»Du hast doch gehört, was Großmama gesagt hat. Manche Leute mögen sich am Krieg bereichert haben, aber Papa gehört jedenfalls nicht dazu.«
»Also, ich finde die Idee furchtbar«, sagte Emmeline. »Es … es gehört sich einfach nicht. Papa würde es niemals erlauben … und Großmama …« Emmeline atmete
tief aus und ließ die Schultern hängen. Als sie wieder zu sprechen begann, klang ihre Stimme kindlich und ängstlich. »Ich will nicht, dass du mich allein lässt.« Sie schaute Hannah an. »Erst David, und jetzt du.«
Der Name ihres Bruders traf Hannah wie ein Schlag. Es war kein Geheimnis, dass sein Tod sie ganz besonders tief getroffen hatte. Die Familie hatte sich immer noch in London aufgehalten, als der gefürchtete schwarz umrandete Brief eingetroffen war, aber damals verbreiteten sich Nachrichten zwischen den Bediensteten Englands so schnell wie der Wind, und schon bald erfuhren wir von Miss Hannahs beängstigendem Zustand. Dass sie überhaupt nichts mehr aß, machte uns allen große Sorgen und führte dazu, dass Mrs Townsend eine Schachtel voll Himbeertörtchen backte, Hannahs Lieblingsgebäck seit Kindertagen, und sie nach London schicken ließ.
Ich konnte nicht sagen, ob Emmeline bewusst war, welche Auswirkung die Erwähnung von David auf Hannah hatte, oder ob sie sich nicht darüber im Klaren war, als sie fortfuhr: »Was soll ich denn ganz allein in diesem großen alten Haus tun?«
»Du wirst nicht allein sein«, sagte Hannah ruhig. »Papa wird dir Gesellschaft leisten.«
»Das ist ein schwacher Trost. Du weißt genau, dass Papa mich nicht mag.«
»Papa mag dich sehr, Emmeline«, widersprach Hannah
Weitere Kostenlose Bücher