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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Essex fuhren, und gar nicht mehr aufhören wollte. Die Moore standen unter Wasser, der Waldboden war durchweicht, und als die Autos die schlammige Auffahrt von Riverton hinaufkrochen, war das Haus nicht zu sehen. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Es war so eingehüllt von dichtem Nebel, dass es erst nach und nach hervortrat, wie eine geisterhafte Erscheinung. Als wir näher kamen, wischte ich mit der Hand die beschlagene Scheibe frei und spähte durch die Nebelwolke zum bleiverglasten Kinderzimmerfenster hinauf. Und plötzlich war mir, als wäre irgendwo in diesem großen düsteren Haus die Grace von vor fünf Jahren damit beschäftigt, den Tisch im Speisesaal herzurichten, Hannah und Emmeline beim Ankleiden zu helfen und sich eine von Nancys berüchtigten Standpauken anzuhören. Hier und dort, damals und heute, alles gleichzeitig, den unberechenbaren Launen der Zeit unterworfen.
    Der erste Wagen hielt, und unter dem Portikus trat Mr Hamilton hervor, einen schwarzen Regenschirm in der Hand, um Hannah und Teddy beim Aussteigen zu helfen. Der zweite Wagen fuhr weiter und hielt vor dem Hintereingang. Ich zog mir den Regenmantel schützend
über meinen Hut, nickte dem Fahrer zu und lief zum Eingang des Dienstbotentrakts.
    Vielleicht war ja der Regen schuld. Wenn es ein schöner Tag gewesen wäre mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein, der durch die Fenster lächelte, wäre der Verfall des Hauses womöglich nicht so schockierend gewesen. Obwohl Mr Hamilton und das andere Personal sich alle Mühe gegeben hatten – sie hatten rund um die Uhr geputzt, sagte Nancy –, war das Haus in einem erbärmlichen Zustand. Es würde eine große Herausforderung sein, das durch Mr Frederick jahrelang vernachlässigte Anwesen wieder auf Vordermann zu bringen.
    Hannah traf es besonders hart. Als sie die heruntergekommenen Räume sah, wurde ihr bewusst, wie einsam Vater in seinen letzten Tagen gewesen sein musste. Und ihre Schuldgefühle erwachten erneut, weil es ihr nicht gelungen war, die Brücken zwischen ihm und ihr wieder aufzubauen.
    »Mir vorzustellen, dass er so gelebt hat«, sagte sie zu mir, als ich ihr an jenem Abend beim Ausziehen half. »Während ich in London war und nichts davon geahnt habe. Emmeline hat zwar hin und wieder ihre Witze darüber gemacht, aber ich hätte mir nie träumen lassen …« Sie schüttelte den Kopf. »Allein der Gedanke, Grace. Allein der Gedanke, dass der arme Pa so unglücklich war.« Nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: »Da sieht man, was passiert, wenn ein Mensch sich selbst untreu wird, nicht wahr?«
    »Ja, Ma’am«, erwiderte ich, ohne zu merken, dass wir längst nicht mehr von Vater sprachen.
     
    Teddy war zwar ebenso überrascht vom Ausmaß des Zerfalls auf Riverton, doch er ließ sich nicht beirren. Er hatte ohnehin eine Totalsanierung geplant.

    »Wir wollen doch den alten Schuppen ins zwanzigste Jahrhundert bringen, oder?«, sagte er mit einem wohlwollenden Lächeln zu Hannah.
    Inzwischen war eine Woche vergangen. Es hatte aufgehört zu regnen. Teddy stand mit dem Rücken zum Fenster und ließ den Blick durch Hannahs sonnendurchflutetes Zimmer schweifen. Hannah und ich saßen auf der Chaiselongue und sortierten ihre Kleider.
    »Wie du willst«, lautete ihre unverbindliche Antwort.
    Teddy sah sie verwirrt an: War es denn nicht aufregend, den alten Familiensitz wieder herzurichten? Waren nicht alle Frauen darauf versessen, ihrer Umgebung ein weibliches Flair zu verleihen? »Ich werde keine Kosten scheuen«, verkündete er.
    Hannah blickte auf und lächelte geduldig wie gegenüber einem übereifrigen Verkäufer. »Was auch immer du für das Beste hältst.«
    Teddy hätte es sicher gern gesehen, wenn sie seine Begeisterung für das Bauprojekt geteilt hätte: die Gespräche mit den Architekten, das Aussuchen von Stoffen oder der Kauf einer originalgetreuen Nachbildung des königlichen Garderobenständers. Aber er machte nicht viel Aufhebens darum. Er hatte sich daran gewöhnt, mit seiner Frau uneins zu sein. Und so schüttelte er nur den Kopf, strich ihr kurz übers Haar und ließ das Thema fallen.
    Hannah interessierte sich zwar nicht für die Renovierungsarbeiten, aber die Rückkehr nach Riverton versetzte sie überraschenderweise in bessere Stimmung. Ich hatte erwartet, dass sie am Boden zerstört sein würde, weil sie London und Robbie hatte verlassen müssen, und war auf das Schlimmste gefasst. Aber ich hatte sie falsch eingeschätzt. Sie war besser gelaunt als gewöhnlich.

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