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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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ihren neuen Uniformen und blank gewienerten Stiefeln. Und auf den Schienen der glitzernde Zug, begierig darauf, abzufahren und seine ahnungslosen Passagiere in eine Hölle aus Schlamm und Tod bringen zu dürfen.
    Aber genug davon. Ich greife viel zu weit voraus.

    »In ganz Europa gehen gerade die Lichter aus. Zu unseren Lebzeiten werden wir sie nicht wieder angehen sehen.«
    LORD GREY, BRITISCHER AUSSENMINISTER
    3. August 1914

Im Westen
    D as Jahr 1914 neigte sich dem Ende zu, und mit jedem Tag, der verging, schwand die Hoffnung, dass der Krieg bis Weihnachten beendet sein würde. Eine in einem fernen Land abgefeuerte Pistolenkugel hatte Europa erschüttert, und der jahrhundertealte Riese Hass war wieder aus seinem Schlaf erwacht. Die Helden längst vergessener Schlachten, unter ihnen Major Hartford, wurden entstaubt und wieder zu den Waffen gerufen, Lord Ashbury zog in seine Londoner Wohnung und schloss sich der Bloomsbury Heimwehr an. Mr Frederick, seit einer schweren Lungenentzündung im Winter 1910 für den Wehrdienst untauglich, stellte seine Automobilfabrik auf die Produktion von Kriegsflugzeugen um und bekam einen Orden für seinen wertvollen Beitrag zur Kriegsindustrie. Es sei ein schwacher Trost, sagte Nancy, die sich mit solchen Dingen auskannte, denn Mr Frederick habe immer schon davon geträumt, in der Armee dienen zu dürfen.
    Die Historiker sagen, dass der Krieg erst im Laufe des Jahres 1915 seinen wahren Charakter zeigte. Aber die Geschichtsschreibung ist eine treulose Erzählerin, deren auf nachträglicher Einsicht basierende Version der Dinge die Akteure oft wie Narren dastehen lässt. Denn während in Frankreich junge Männer in nie gekanntem
Gemetzel verbluteten, verging das Jahr 1915 auf Riverton etwa ebenso ruhig wie das vorherige. Selbstverständlich wussten wir, dass die Front im Westen zum Stillstand gekommen war – Mr Hamilton hielt uns auf dem Laufenden, indem er uns täglich die grausigen Zeitungsberichte vorlas –, und natürlich gab es reichlich kleinere Unannehmlichkeiten, sodass die Leute die Köpfe schüttelten und missbilligende Bemerkungen über den Krieg machten, aber das alles trat in den Hintergrund angesichts der aufgeregten Entschlossenheit, die der Krieg jenen lieferte, die bisher ein eher langweiliges Leben geführt hatten und die froh waren über die neue Bühne, auf der sie sich beweisen konnten.
    Lady Violet gründete zahllose Komitees für die unterschiedlichsten Aufgaben, von der Beschaffung anständiger Quartiere für willkommene belgische Flüchtlinge bis hin zur Organisation von Automobilausflügen für Offiziere auf Genesungsurlaub. Überall in Großbritannien leisteten junge Frauen – und auch einige halbwüchsige Jungen – ihren Beitrag zur Verteidigung des Vaterlandes, traten mit Stricknadeln bewaffnet gegen ein Meer von Problemen an und produzierten eine nicht enden wollende Flut aus Schals und Socken für die Jungs an der Front. Fanny, die zwar nicht stricken konnte, aber unbedingt Mr Frederick mit ihrem Patriotismus beeindrucken wollte, widmete sich mit Inbrunst der Koordination solcher Unternehmungen und organisierte die Verpackung und Verschiffung der Strickwaren nach Frankreich. Selbst Lady Clementine legte plötzlich Gemeinschaftsgeist an den Tag und nahm einen von Lady Violets belgischen Flüchtlingen bei sich auf – eine ältere Dame, mit nur geringen Englischkenntnissen, aber tadellosen Umgangsformen, der sie genüsslich die schauerlichen Einzelheiten über die Invasion entlockte.

    Als der Dezember näher rückte, wurden Lady Jemima, Fanny und die Hartford-Kinder nach Riverton zitiert, wo Lady Violet unbedingt ein traditionelles Weihnachtsfest im Kreise ihrer Lieben feiern wollte. Fanny wäre lieber im weitaus aufregenderen London geblieben, konnte sich jedoch der Einladung einer Frau nicht widersetzen, deren Sohn sie zu heiraten hoffte. (Dass der Sohn selbst an einem weit entfernten Ort stationiert war und von ihr nichts wissen wollte, ignorierte sie dabei.) Ihr blieb also nichts anderes übrig, als sich für lange Winterwochen in Essex zu wappnen. Sie gab sich so gelangweilt, wie nur junge Leute es fertigbringen, und vertrieb sich die Zeit damit, von Zimmer zu Zimmer zu schlendern und möglichst hübsch auszusehen, für den Fall, dass Mr Frederick unerwartet nach Hause kommen sollte.
    Jemima tat sich viel schwerer, und sie wirkte irgendwie rundlicher und unscheinbarer als im Jahr zuvor. Auf einem Gebiet allerdings übertrumpfte sie die schöne

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