Geheime Spiel
aus schwarzen Buchstaben auf weißem Papier bestand – ich habe die Zeilen hundertmal gestrichen und wieder neu geschrieben –, und dennoch war ich zutiefst gerührt, die Worte heute gesprochen zu hören.«
»Sie sind eine Romantikerin«, sagte ich.
»Wahrscheinlich.« Sie legte den Kopf schief. »Lächerlich, nicht wahr? Ich habe den echten Robbie Hunter ja gar nicht gekannt. Ich habe anhand seiner Gedichte und mithilfe dessen, was andere über ihn geschrieben haben, versucht, einen zu ihm passenden Charakter zu entwickeln. Trotzdem finde ich …« Sie hielt inne und hob die Brauen, als würde sie ihr eigenes Verhalten missbilligen. »Tja, ich fürchte, ich bin in eine Figur verliebt, die ich selbst erfunden habe.«
»Und wie ist Ihr Robbie?«
»Er ist leidenschaftlich. Kreativ. Entschlossen.« Nachdenklich stützte sie ihr Kinn in die Hand. »Aber ich glaube, was ich am meisten an ihm bewundere, ist seine
Hoffnung. Eine so zerbrechliche Hoffnung. Die Leute sagen, er war ein desillusionierter Dichter, aber ich bin mir da nicht so sicher. Ich habe in seinen Gedichten immer etwas Positives gesehen. Die Art, wie er mitten in dem Schrecken, den er erlebte, noch eine Chance erkannt hat.« Sie schüttelte mitfühlend den Kopf. »Es muss unglaublich schwierig gewesen sein. Ein sensibler junger Mann, der in so einen schrecklichen Krieg geschickt wird. Ein Wunder, dass einige Heimkehrer tatsächlich in der Lage waren, ihr normales Leben wieder aufzunehmen. Wieder zu lieben.«
»Einer von diesen jungen Männern hat mich einmal geliebt«, sagte ich. »Er ist in den Krieg gezogen, und wir haben uns Briefe geschrieben. Durch diese Briefe ist mir klar geworden, was ich für ihn empfand. Und er für mich.«
»War er verändert, als er zurückkam?«
»O ja«, erwiderte ich leise. »Keiner von ihnen ist unverändert zurückgekehrt.«
»Wann haben Sie ihn verloren?«, fragte sie sanft. »Ihren Mann?«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was sie meinte. »O nein«, sagte ich. »Er war nicht mein Mann. Alfred und ich haben nie geheiratet.«
»Ach, das tut mir leid, ich dachte …« Sie zeigte auf das Hochzeitsfoto auf meiner Frisierkommode.
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist nicht Alfred. Das ist John, Ruths Vater. Wir beide waren verheiratet. Aber der Herrgott weiß, dass wir nie hätten heiraten dürfen.«
Sie schaute mich fragend an.
»John war ein hervorragender Tänzer und ein wundervoller Liebhaber, aber kein guter Ehemann. Aber ich muss gestehen, ich war auch keine gute Ehefrau. Ich hatte eigentlich nie vor zu heiraten. Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet.«
Ursula stand auf und nahm das Foto in die Hand. Fuhr gedankenverloren mit dem Finger über den Rahmen. »Er sah gut aus.«
»Ja«, sagte ich. »Ich nehme an, das war es, was mich zu ihm hingezogen hat.«
»War er auch Archäologe?«
»Meine Güte, nein. John war Beamter.«
»Oh.« Sie stellte das Foto wieder ab. Wandte sich mir zu. »Ich dachte, Sie hätten sich vielleicht über Ihren Beruf kennengelernt, oder an der Universität.«
Ich schüttelte den Kopf. 1938, als John und ich uns kennenlernten, hätte ich einen Arzt gerufen für denjenigen, der mir gesagt hätte, dass ich einmal an einer Universität studieren würde. Dass ich Archäologin werden würde. Damals arbeitete ich in einem Restaurant – dem Lyons’ Corner House in London – und servierte Unmengen von Leuten Unmengen von gebratenem Fisch. Mrs Havers, der Wirtin, gefiel die Vorstellung, eine Frau als Kellnerin einzustellen, die früher als Dienstmädchen gearbeitet hatte. Sie erzählte jedem, der es hören wollte, dass niemand das Besteck so blank polieren konnte wie die Mädchen, die früher bei den Lords und Ladys in Stellung gewesen waren.
»John und ich haben uns zufällig kennengelernt«, sagte ich. »Beim Tanzen.«
Ich hatte widerwillig zugestimmt, eine Kollegin zum Tanzen zu begleiten. Eine andere Kellnerin: Patty Everidge. Den Namen werde ich nie vergessen. Seltsam. Dabei bedeutete sie mir gar nichts. Eine Frau, mit der ich zusammen arbeitete, die ich aber mied, wo ich konnte, obwohl das nicht immer leicht war. Sie war eine von der Sorte Frauen, die sich für alles und jeden interessieren. Die ihre Nase ständig in anderer Leute Angelegenheiten stecken und sich in alles einmischen. Patty war offenbar
der Meinung, dass ich zu wenig unter Leute kam, dass ich zu zurückhaltend war, wenn die Kolleginnen einander kichernd von ihren Wochenendabenteuern berichteten.
Weitere Kostenlose Bücher