Geheimer Krieg: Wie von Deutschland aus der Kampf gegen den Terror gesteuert wird (German Edition)
handelte sich um den wohl größten Lauschangriff der Geschichte.
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Dieses Ausmaß der Überwachung hätten wir nicht für möglich gehalten. Lange dachten wir, das seien nur übertriebene Ängste von paranoiden Internet-Geeks. Wir haben uns schwer geirrt.
Waren womöglich NSA -Anlagen in Deutschland in die Überwachungsprogramme eingebunden?
Doch wie sollten wir vorgehen? Als guter Reporter muss man seinen bequemen Bürostuhl verlassen. Vertraue nicht auf eine Quelle allein. Glaube nicht, was du in einem Buch, im Internet oder bei Kollegen liest: Dozenten an Journalistenschulen, Professoren und verschiedene Chefs in unserem Berufsleben hatten uns diese Tugend immer wieder vor Augen geführt.
Grundsätzlich ist das ein wichtiger Ratschlag. Aber bei unserer Recherche in Darmstadt hat er uns nicht viel weitergebracht. Das Einzige, was wir herausfinden konnten, war, dass die NSA böse Drohschilder aufhängt und kurze Drähte zur lokalen Polizeistation pflegt. Und dass die Anlage noch besser gesichert ist als andere militärische Einrichtungen.
Wir mussten diesmal anders vorgehen, uns in die Arbeit des größten Datenstaubsaugers der Welt hineindenken. Wir mussten versuchen, den Daten-Code zu knacken.
Spätestens seit den Enthüllungen um die Spähprogramme der NSA sind viele Menschen überzeugt davon, dass die Geheimdienste dieser Welt uns überwachen und in der Lage sind, alles über uns herauszufinden, was wir tun. Das ist aber nur die eine Seite.
Auch Agenten sind soziale Wesen, auch geheime Behörden hinterlassen Bremsspuren auf der Datenautobahn. Auch Spione kaufen Häuser unter ihren bürgerlichen Namen, bloggen, laden Urlaubsbilder ins Internet hoch. Sie bewerben sich um neue, besser bezahlte Jobs. Geheimdienste brauchen Toilettenpapier, suchen neue Mitarbeiter oder müssen neue Gebäude bauen. Die Aufträge schreiben sie im Internet aus.
Das Bemerkenswerte am Charakter von Daten und dem Internet ist: Man wird nicht nur beobachtet, man kann auch selbst beobachten. Wir wollten keine Angst mehr vor den Daten haben – wir wollten sie für uns nutzen.
Darum verbrachten wir eine Menge Zeit und Energie damit, die andere Seite zu analysieren. Wir mussten einen Teil der Sprache der NSA verstehen lernen. Viele Tage verbrachten wir damit, die Strukturen des Dienstes zu ergründen und die interne Sprache zu übersetzen, die versucht, die Arbeit der NSA nach außen hin zu verschleiern.
Wir lasen darum langweilige, nicht enden wollende interne Dokumente. Wenn wir nicht darüber eingeschlafen waren, lernten wir mit jedem Text mehr über Begriffe und Codes. Wir nervten unsere wenigen Kontaktpersonen beim Militär und bei den Geheimdiensten und fragten sie aus. Ein Erkenntnisprozess lief beispielsweise so:
Was bedeutet « CT Specialist»?
Ah, Counter-Terrorism-Spezialist.
Und was bedeutet Counter-Terrorism genau?
Soso, das heißt, sie jagen al-Qaida-Terroristen.
Heißt das, dass sie Drohnen steuern oder Geheimgefängnisse bauen?
Ach, gegen Terroristen kann man auch durch Abhören von Telefonaten kämpfen …
Wir wollten die Codes verstehen, mit denen die NSA kommuniziert, und die Abkürzungen, hinter denen sie sich versteckt. So hofften wir, mehr über den Geheimdienst zu erfahren. Gegenspionage quasi. Wir wollten nicht weniger als den Datenfluss umleiten. Mit den Daten gegen die Datensammler.
Schon einmal, im Jahr 2007 , hatten wir damit gute Erfahrungen gemacht. Wir hatten damals zuerst nur die Pseudonyme von CIA -Agenten, die den Deutschen Khaled al-Masri entführt hatten, herausgefunden. Wir entdeckten dann aber eine Methode, wie wir mit vorhandenen, öffentlich zugänglichen Informationen die bürgerlichen Namen der Entführer aufdecken konnten.
Darum entschieden wir uns, wieder die gleiche Methode anzuwenden. In amerikanischen Personalregistern und US -Regierungs-Datenbanken wollten wir die Spuren der NSA in Deutschland finden. Wir wollten die Daten umleiten.
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Als Erstes taten wir, was Journalisten immer zuerst tun. Um von Nullwissen auf Halbwissen zu kommen, benutzen sie das Archiv. Wir sahen nach, was bisher schon bekannt war über die geheime Arbeit des NSA in Deutschland. Besonders viele Artikel fanden wir nicht. Aber unsere Neugierde war geweckt.
Danach schrieben wir die Begriffe auf, die in den Snowden-Dokumenten und NSA -Papieren vorkommen. Wir begannen nach ihnen zu suchen. Dadurch entdeckten wir wieder neue Begriffe und Ziffern, die uns zu weiteren Codes führten.
Mit dieser langen
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