Geheimnis der Leidenschaft
Wetter angegriffen und von den Bewegungen der Erde zerbrochen und verschoben worden waren, so hatten diese Ebenen doch jemanden, der sie lesen konnte. Einige der Steinbänder waren relativ junge Felssedimente. Doch der größte Teil der Schichten war alt, dicht und so dunkel von der Zeit und den Bewegungen der Erde, dass sie für die Elemente undurchlässig geworden waren. Sturm, Wind, Wasser, Sonne - nichts veränderte sie mehr. Sie waren ausgelaugte, geschwärzte Knochen einer jüngeren Zeit, einer anderen Welt.
Irgendwo, in steilem Winkel aufgestellt und vor den Blicken verborgen, glaubte Rio, würde es mindestens eine dicke Schicht Kalkstein geben, eine Hinterlassenschaft des großen Sees, der vor vierzig Millionen Jahren das Land bedeckt hatte, lange ehe der Mensch hier lebte und als das Basin- und Range-Land unter einem Reichtum von Wasser lag, den man sich kaum noch vorstellen konnte. Seit dieser Zeit hatten sich die Kontinentalplatten über die Oberfläche der Erde geschoben, und ihr Weg war durch geschmolzenen Fels geschmeidig gemacht worden. Die Bewegung dieser Platten änderte alles: Sie ließ Berge aufsteigen und zog Land hinunter unter die Erdoberfläche, bis es so heiß wurde, dass der Fels schmolz und wie Wasser floss.
»Wonach suchen Sie?«, fragte Hope.
»Nach einem potentiellen Aquifer.« Rios forschender Blick richtete sich eindringlich auf den Berghang, während er insgeheim versuchte, die verschiedenen Bewegungen des Steins mit den Augen nachzuvollziehen. »Ein Aquifer ist eine Felsschicht, die Wasser absorbieren kann. Ich weiß, es fällt Ihnen schwer, mir zu glauben«, meinte er und streckte die Hand nach der Satteltasche aus, ohne den Blick von dem Berg zu lassen, »aber einige Arten von Fels sind nichts anderes als große, steinerne Schwämme. Mit der Zeit und unter den richtigen Bedingungen können solche Schichten unglaublich große Mengen Wasser aufsaugen.«
»Wenn Sie meinen«, murmelte sie. Ihre Stimme war voller Zweifel, genauso wie ihr Gesichtsausdruck.
Er hatte eine Karte und einen Stift aus seiner Satteltasche gezogen. »Sandstein ist ein Aquifer, ein Steinschwamm, genau wie Kalkstein. Die meisten Ihrer Brunnen holen das Wasser aus verborgenen Sandbetten und Kies nach oben, der vor Millionen von Jahren von den Bergen heruntergewaschen wurde.«
Sie blickte auf seine Hände. Während Rio sprach, zeichnete er.
»Das Wasser, das Ihre Brunnen nach oben förderten, stammte von den Regenfällen der letzten Zeit«, sprach er weiter. »Das Wasser von diesem und vom letzten Jahr war Wasser, das im Land versickert ist und das nach jeder Regenzeit die Brunnen wieder auffüllt.«
Er schob den Hut zurück und betrachtete die Karte. Eine Locke, so schwarz wie die Nacht, fiel ihm in die Stirn. Doch er bemerkte es nicht. Seine Aufmerksamkeit war auf die winzigen Symbole gerichtet, die er auf der Karte ergänzte.
Hope sehnte sich schmerzlich danach, ihm die Locke aus der Stirn zu streichen, zu spüren, wie sie sich anfühlte, und die Wärme des Mannes zu spüren, der sie nicht einmal ansah.
»An den meisten Stellen der Erde«, fuhr er fort und kniff die Augen zusammen, als er zu dem Berg sah, »sickert das Grundwasser langsam den Hang hinunter, bis es einen Fluss oder einen See erreicht. Aber dies hier ist keine dieser Stellen. Hier sinkt das Wasser tiefer und tiefer, bis es eine Lage Fels erreicht, die es nicht durchdringen kann, oder bis die Hitze des Basaltes das Wasser in Dampf verwandelt und es als heiße Quelle oder als Geysir an die Erdoberfläche zurückschickt.«
Sie erinnerte sich, und diese Erinnerung weckte in ihr den Wunsch, zu weinen. Auf Turners Land gab es solche heißen Quellen. Im Sonnental hatte es auch solche Quellen gegeben, doch sie waren schon in ihrer Kindheit ausgetrocknet und hatten eine Kruste aus bunten Mineralien zurückgelassen und die Erinnerung an ein türkisfarbenes Wasser, das im Rhythmus des Herzschlages der Erde pulsierte.
»Die meisten Menschen denken, dieses Land sei trostlos, steril und uninteressant«, sagte Rio, und aus seiner Stimme war die Freude über die wilde Landschaft zu hören. »Doch das ist es nicht. Auf vielerlei Arten ist es das reichste, aufregendste und seltenste aller Länder der Welt.«
Hope hörte die Gefühle in seiner Stimme und fühlte sich noch mehr zu ihm hingezogen. Auch sie liebte dieses karge und schwierige Land. Auch sie hatte die subtilen und außergewöhnlichen Belohnungen erlebt, die das Land demjenigen schenkte, der es
Weitere Kostenlose Bücher