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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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das nächste Mal besuchte, sagte sie ihm die Wahrheit.
    Zuerst glaubte er, sie rede im Fieberwahn. Von was für einem Laken sprach sie? Einem weißen Kleid für Maria?
    Dann begriff er, dass sie ein Laken von seiner Wäscheleine gestohlen hatte. Daraus war ein weißes Kleid für Maria geworden, die jetzt tot war.
    José-Maria erinnerte sich an die Reste von weißem Stoff an Marias Körper, als sie vornübergefallen auf dem Pfad gelegen hatte, nachdem die Mine explodiert war. Aber er hatte nie bemerkt, dass ein Laken verschwunden war. Er sah Sofia an, dass sie Angst hatte. Deswegen war es wichtig, dass er ihre Worte ernst nahm. »Das macht nichts«, sagte er. »Denk jetzt nicht daran.« »Vielleicht könnte ich jetzt meine Beine wiederhaben«, sagte Sofia.
    José-Maria war gerührt. Vor ihm im Bett lag ein sonderbares Mädchen, klein und blass. Ihm fiel auf, dass auch schwarze Menschen vor Sorge und Schmerz blass werden konnten.
    »Du wirst neue Beine bekommen«, sagte er. »Deine alten Beine konnten einfach nicht mehr.«
    Dann ging er hinaus in den Flur und holte Lydia.
    »Sie weiß, dass ihre beiden Beine weg sind«, sagte er zu ihr. »Denk dran, dass sie neue Beine bekommt.«
    Lydia saß auf dem Fußboden im Flur, der voller Menschen war.
    »Wie soll sie das schaffen?«, jammerte sie. »Wir sind so arm.«
    »Zuerst muss sie gesund werden«, sagte José-Maria.
    »Dann denken wir an die Zukunft. Geh jetzt zu ihr hinein! Weine nicht. Schrei nicht. Erzähl ihr, wie das ganze Dorf daraufwartet, dass sie wieder nach Hause kommt.«
    Lydia fiel es immer gleich schwer Sofia zu besuchen. Ihr gepeinigtes Gesicht zu sehen, daran zu denken, dass unter dem Laken keine Beine mehr waren. Lydia dachte, sie könnte nichts tun. Und wie sollte das Leben hinterher werden? Mit Sofia ohne Beine zu Hause im Dorf? Manchmal dachte sie, dass sie alles im Leben verloren hatte.
    Einmal war sie jung gewesen, genauso jung wie Sofia. Sie hatte Hapakatanda kennen gelernt, sie hatten ein gutes Leben zusammen gehabt. Dann waren die Banditen aus der Dunkelheit gekommen und alles hatte sich verändert.
    Danach waren sie auf der Flucht gewesen. Als sie geglaubt hatte, sie könnte endlich ein neues Leben zusammen mit ihren Kindern aufbauen, geschah das Furchtbare. Würde es nie ein Ende nehmen? Sollte ihr ganzes Leben nur aus Sorge und Schmerz bestehen?
    Sofia freute sich immer, wenn Mama Lydia kam. Sie wünschte, sie wäre nie allein in diesem Zimmer. Sie konnte selbst nicht viel reden. Aber sie hörte Lydia gern zu, die viel und ununterbrochen redete. Sie erzählte von Alfrede und vom Mais, der jetzt geerntet werden musste. Aber sie sprach nicht über Maria. Am Ende, als sie keine Worte mehr hatte, wurde es still im Zimmer. Eine einsame Fliege surrte oberhalb von Sofias Gesicht. Lydia, die auf dem Fußboden neben dem Bett gesessen hatte, erhob sich und streichelte Sofia linkisch über die Wange. »Ich komme bald wieder«, sagte sie. Sofia nickte. Als sie den Kopf bewegte, kehrten die Schmerzen zurück. Sie musste sich dagegenstemmen um nicht zu wimmern. Sie wollte nicht, dass Lydia es hörte.
    Am selben Abend, als Sofia allein im Zimmer lag und auf der unterirdischen Dünung schaukelte, als Lydia, Alfredo an sich gedrückt, auf dem Hüttenboden schlief, saß José-Maria auf dem Bett in seinem Zimmer mit einem kleinen Kruzifix in der Hand. Eine einsame Lampe brannte im Zimmer.
    José-Maria war Pfarrer. Er glaubte an Gott. Vor langer Zeit war er in Brasilien aufgewachsen. Damals hatte er sich entschieden Pfarrer zu werden. Viele Jahre später war er als Missionar ins ferne Afrika geschickt worden, in das Land, in dem Bürgerkrieg herrschte und viele Menschen großem Leid ausgesetzt waren.
    Seitdem waren Jahre vergangen. José-Maria dachte manchmal, dass er mit seinem Gott Probleme hatte. Ihm fiel es schwer, alles zu begreifen, was den Menschen widerfuhr. Oder war es vielleicht umgekehrt? Hatte Gott Probleme mit José-Maria?
    Manchmal saß er abends mit dem Kruzifix in der Hand da und versuchte mit Gott zu sprechen. An diesem Abend sprach er über Sofia. Er versuchte zu verstehen, warum ein kleines Mädchen wie sie so leiden musste. Warum hatte ihre Schwester sterben müssen? Er meinte eine müde Stimme in seinem Innern zu hören. Es war, als ob er selbst spräche, aber als ein sehr alter Mann. Die Stimme war alt und brüchig, die Worte undeutlich wie entferntes Flüstern.
    Gott ist ein Rätsel, dachte er. Das Schweigen, dem ich begegne, ist Gottes

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