Geheimnis des italienische Grafen
erlaubt. Außerdem fanden wir keine Zeit dazu. Aber dieses besondere Exemplar dürfen wir wenigstens aus der Ferne bewundern.“
„O ja. Wie eine antike Statue.“
„Genau, Schwesterchen.“
„Weißt du, wer das ist?“ Thalia nippte an dem Wasserglas, das Calliope ihr gebracht hatte, und beobachtete, wie sich der goldblonde Mann über unzählige behandschuhte Hände beugte.
„Nein. Komm, schauen wir im Gästebuch nach.“ Sie eilten zu dem Tisch, auf dem das Buch lag, und überflogen die Liste der neuen Namen. „Ja, das muss er sein“, meinte Calliope und zeigte auf eine der Zeilen.
„Signor Domenico de Lucca“, las Thalia vor. „Gab es jemals einen Namen, der besser zu seinem Träger passte?“
„Do-me-ni-co de Luc-ca“, wiederholte Calliope gedehnt, und beide Schwestern lachten. „Woher er stammt, wissen wir nicht.“
„Aus Rom oder Mailand, wegen seines imposanten aristokratischen Namens.“
„Plötzlich laufen so viele Italiener in Bath herum. Eine neue römische Invasion?“ Calliope klopfte mit einem Finger auf ihr Kinn. „Oder vielleicht stammt er aus Venedig.“
„Eigentlich aus Neapel“, sagte eine wohlklingende, tiefe Stimme hinter ihnen. Über dem Buch wechselten Thalia und Calliope einen ungläubigen Blick, bevor sie sich zu Domenico de Lucca umdrehten.
Da stand er mit Lady Grimsby und ihrer Tochter Anne und lächelte die Chase-Musen an. In der Tat, seine Augen waren violett, das stellte Thalia jetzt fest. Wie der sizilianische Himmel kurz vor der Abenddämmerung. Aber er hatte, im Gegensatz zu Marco, keine Grübchen in den Wangen.
„Kennen Sie Neapel?“, fragte er.
„Natürlich kennen die Damen diese Stadt“, erklärte Lady Grimsby. „Das sind zwei Töchter des berühmten Altertumsforschers Sir Walter Chase. Ganz Italien und Griechenland haben sie bereist.“
„Tatsächlich?“ , fragte Signor de Lucca in eifrigem, enthusiastischem Ton. „Wie wundervoll, zwei so schönen Frauen zu begegnen, die über meine Heimat Bescheid wissen.“
Lady Grimsby legte eine Hand auf seinen Arm, als wollte sie ihn an die englische Schicklichkeit erinnern – oder ihn einfach nur anfassen. „Lady Westwood, Miss Chase, darf ich Ihnen de Lucca vorstellen? Er ist nach Bath gereist, um einige römische Ausgrabungen zu studieren. Signor de Lucca, die Countess of Westwood und ihre Schwester, Miss Thalia Chase.“
„Ah, die Chase-Musen!“, rief er entzückt. „Sogar in Neapel ist Ihre Gelehrsamkeit berühmt, meine Damen.“
„Wirklich, Signore?“, erwiderte Calliope. „Es stimmt, wir lieben die Kunst und die Geschichte des Altertums. Aber unsere Kenntnisse lassen sich wohl kaum mit dem Wissen der Menschen vergleichen, die in Italien leben – von altem, ruhmreichem Glanz umgeben.“
Kummervolle Falten durchzogen die goldene Stirn. „Ah, Lady Westwood, dort sind so viele Leute unfähig, ihre eigene Kultur zu würdigen, ihr kostbares Erbe.“
„Sind Sie ein Wissenschaftler, Signor de Lucca?“, erkundigte sich Thalia.
„Leider nur ein Amateur. Meine Pflichten in der Armee beanspruchen einen Großteil meiner Zeit. Aber ich widme mich meinen Studien, wann immer ich eine Gelegenheit finde. Neulich las ich einige Schriften über die Gründung von Bath. Kennen Sie diese Abhandlungen?“
„Die liest meine Schwester gerade auch“, sagte Calliope. „Nicht wahr, Thalia?“
„O ja“, bestätigte Thalia. „Ich interessiere mich sehr für die Entstehung dieser Stadt, die Gründung des Sulis-Minerva-Kults.“
Hingerissen lächelte Domenico de Lucca ihr zu und glich dem Sonnengott mehr denn je. „Gewiss, das alles fasziniert mich ebenso, Signorina Chase. Während ich mich in Bath aufhalte, hoffe ich die Spuren jener Stätten zu sehen, die in den alten Schriften erwähnt werden, damit ich einige Skizzen anfertigen und mir Notizen machen kann. Zumindest möchte ich mir die Ausgrabungen anschauen, die immer noch besichtigt werden können. Außerdem die Abteikirche. Und ich will die Süßigkeiten im Café Mollands probieren. Wie man mir versichert hat, darf man sie nicht versäumen.“
Lady Grimsby musterte ihn nachdenklich, und Thalia fürchtete, diese Miene würde sie noch sehr oft sehen – einen Blick, der kupplerische Absichten bekundete. Und tatsächlich, sie behielt recht, denn Ihre Ladyschaft stieß den Italiener behutsam in ihre Richtung. „Miss Chase ist eine wundervolle Expertin für Ruinen“, betonte sie. „Vor kurzer Zeit ist sie von einer längeren Reise durch den
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