Geheimnis des Verlangens
war.
Tanya ließ ihren Rock auf der Stelle fallen, aber sie brauchte sehr viel länger, um sich umzudrehen und Stefan anzusehen. Gott helfe ihr, diesmal würde sie zu Asche verbrennen! Die Demütigung, dass sie dabei erwischt wurde, wie sie ihr eigenes Hinterteil beäugte, war unerträglich. Es war einfach zuviel, nach allem, was ihr heute schon passiert war. Aber als sie ihn endlich ansah, stellte sie fest, dass er ihren Blick gar nicht erwiderte. Er starrte nur auf seine Hände, die er von sich weghielt, als sprössen daran plötzlich einige Finger mehr als er eigentlich haben sollte. Und für eine Frau, die gerade ihr Gesicht in Ordnung bringen wollte, war es nicht schwer zu erraten, was dieses >das< war, nach dem er fragte. Nicht, wie sie geglaubt hatte, ihr unziemliches Benehmen, sondern der graue Puder, der jetzt seine langen Finger bedeckte.
Schnell entschied sie, dass er wohl sie anstarren würde statt seiner Finger, wenn er ihr Geheimnis schon entdeckt hätte. Daher kehrte sie ihm wieder den Rücken zu und versuchte, so unauffällig wie nur möglich den Schaden zu beheben, den er ihrer Maskerade zugefügt hatte. Sie wagte es jedoch nicht, sich weit genug vorzubeugen, um sich in ihrem Spiegel zu vergewissern, dass es ihr gelungen war, all seine bleichen Fingerabdrücke von ihrer Haut zu entfernen. Das würde seine Aufmerksamkeit auf ihr Gesicht lenken — und gleichzeitig seine Frage beantworten, von der sie so ängstlich hoffte, er würde sie vergessen.
In dem Versuch, ihn abzulenken, sagte sie: »Falls Ihr nicht wißt, wie man klopft, würde ich es Euch liebend gern beibringen.«
»Ich glaube, ich habe Euch eine Frage gestellt, Weib!«
Soviel also zu ihrem Ablenkungsmanöver. »Und ich finde außerdem, dass Ihr schon viel zu viele Fragen für einen Tag gestellt habt. Ich habe nicht den geringsten Wunsch ...«
Ihre trotzigen Ausflüchte fanden ein jähes Ende, als er nach dem festen Knoten in ihrem Nacken griff. Sie hatte nicht einmal gehört, dass er sich ihr genähert hatte, aber die kräftige Hand, die wenige Zoll vor ihren Augen auftauchte, war nicht zu übersehen.
»Ihr werdet mir jetzt erklären, wieso meine Hände ihre Farbe wechseln, wenn ich Euch berühre.«
»Asche?« bot sie ihm als Möglichkeit an. »Ich habe heute morgen den Herd gesäubert.«
»Und zu diesem Zweck Euer Gesicht daran gerieben?«
»Nein ...«
»Natürlich, es könnte Asche sein«, sagte er nachdenklich, während er seine Finger aneinanderrieb. »Es fühlt sich so an.« Gerade als sie begonnen hatte, sich zu entspannen, wurde ihr Kopf zur Seite gedreht und zurückgebogen, bis sie ihm direkt in die Augen sehen musste . »Aber irgendwie bezweifle ich es. Sagt mir, warum ich es bezweifle, Weib!« befahl er, während er mit einem Finger eine diagonale Linie auf ihre Wange zeichnete.
Tanya Schloss für einen Moment die Augen, um den ungestümen Gefühlen zu entgehen, die sie in den seinen lesen konnte. Er wusste es, und er war offensichtlich wütend darüber, obwohl sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, warum. Also gut, ihre Erscheinung war eine Illusion. Aber sie sollte doch wohl diejenige sein, die über diese Entdeckung in Wut geriet, nicht er. »Laßt mich los...«
Diese Bemerkung trug ihr einen neuerlichen Ruck an ihrem Knoten ein, und diesmal war er so heftig, dass er qualvoll an ihren Haaren riß. Tränen sprangen in ihre Augenwinkel, begleitet von einem gekeuchten Schmerzenslaut und einem vorwurfsvollen, funkelnden Blick, der jedoch keinen sichtbaren Einfluß auf ihn hatte. Im Gegenteil, einen halben Atemzug lang dachte sie, er würde sogar noch fester ziehen. Aber er tat es nicht. Sein Griff lockerte sich, und Tanya zögerte keinen Augenblick, sich aus seiner Reichweite zu entfernen. Nur um gleich wieder laut aufzukreischen, weil er ihren Knoten doch nicht ganz losgelassen hatte. Durch ihre plötzliche Bewegung löste sich ihr Haar unter dem Griff seiner Finger und fiel jetzt wirr ihren Rücken hinab. Dann flogen ihre Haare wild über ihre Schultern, als sie zu ihm herumwirbelte, um ihm einen mörderischen Blick zuzuwerfen. »Ich kann von Glück sagen, dass ich überhaupt noch Haare auf dem Kopf habe, du Bastard!« schrie sie, während sie die Hände hob, um sich die Kopfhaut zu massieren. »Woher nehmt Ihr bloß das Recht, mich so zu behandeln?«
Ihre Frage wurde jedoch ignoriert, und zwar gründlich. Außerdem verlor sie den gerade erst gewonnenen Abstand, als er einen Schritt auf sie zu machte.
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