Geheimnis des Verlangens
Der Kapitän? Höchstwahrscheinlich erzählte Serge ihm gerade irgendeine schändliche Lüge, so wie es vorhin Vasili getan hatte. Mit Sicherheit hatte jedenfalls auch er schon eine Erklärung parat, warum sie auf diese Weise an Bord getragen wurde. Den Passagieren hatten sie zweifellos eine ähnliche Geschichte erzählt, weshalb auch jetzt kein einziger von ihnen Anstalten machte, ihr zu helfen. Von Stefan und Lazar war nichts zu sehen. Vielleicht waren sie ertrunken — hoffentlich!
Tanya versuchte immer noch, die Wahrheit hinauszuschreien, egal wer ihr zuhörte. Das war ihre letzte und einzige Chance. Aber sie brachte nur ein wirres Mischmasch hektischer Wörter heraus, obendrein noch durchsetzt mit all den Uffs, die ihr jedesmal entfuhren, wenn ein heftiger Stoß von Vasili sie zum Schweigen brachte. Schließlich blieben von ihrem Gestammel nur noch frustrierte Schreie übrig, und auch die wurden immer wieder von Uffs unterbrochen.
Nur allzu bald hörte sie, wie eine Tür hinter ihr zugeschlagen wurde und Vasili s gereizte Stimme sagte: »Komm und stopf ihr etwas in ihren verdammten Mund, ja Sascha?«
Dann hob er sie von seiner Schulter und stellte sie unsanft wieder auf ihre Füße. Er hatte sie furchtbar durchgeschüttelt, aber sie war nicht so benommen, dass sie nicht auf der Stelle versucht hätte, ihrem Peiniger mit geballter Faust einen Schwinger zu versetzen. Vergeblich, allerdings. Er war genauso schnell wie Stefan, wenn es darum ging, ihren Schlägen auszuweichen. Das Ende vom Lied war, dass sie sich unter der Wucht ihres Schwingers halb um ihre eigene Achse drehte. Als sie schließlich taumelnd zum Stehen kam, fiel ihr Blick sofort auf Sascha — und auf den zusammengeknüllten Stofffetzen , den er in der Hand hielt.
Tanya überschüttete den Diener mit allem, was sie im Augenblick empfand: »Daran brauchst du nicht einmal zu denken, du abgebrochener Zwerg, du Duckmäuser!«
Unbeeindruckt von dieser Beleidigung richtete er lediglich seine schwarzen Augen auf Vasili . Tanya tat dasselbe und entfernte sich vorsorglich aus seiner Reichweite.
»Mach dir nichts draus, Sascha«, sagte Vasili , dem plötzlich etwas in den Sinn gekommen zu sein schien, das ihn amüsierte. »Soll sie das doch mit Stefan und seinem teuflischen Temperament a u sfechten. Das wird heute bestimmt der schlimmste Ausbruch dieses Temperaments, den wir seit langem zu sehen bekommen haben.«
Falls er Tanya mit diesen Worten einschüchtern wollte, hatte er durchaus Erfolg damit. Bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht mehr an die unerfreulichen Konsequenzen gedacht, die Stefan ihr zuvor versprochen hatte. Und sie hatte nicht nur einen Zwischenfall verursacht; sie hatte zwei Männern ein unfreiwilliges Bad im Fluß verschafft, und einer davon hatte angeblich das Recht, mit ihr zu machen, was er wollte. All ihre Befürchtungen trugen jedoch nicht dazu bei, sie zu zähmen — nicht solange sie der Gefahr noch nicht ins Auge sehen musste .
Sie kräuselte voller Verachtung die Lippen. Dieser goldene Adonis und seine rachsüchtige Vorfreude konnten sie nicht so leicht ängstigen. »Und Euch soll ich versprochen sein? Ihr begreift wohl, warum ich das nicht glauben kann.«
Seine Verachtung war sehr viel wirkungsvoller als ihre, während seine bernsteinbraunen Augen sie zu durchlöchern schienen: »Das kann ich selbst kaum glauben, aber ich versichere Euch, dass Ihr niemals mein Bett teilen werdet.« Er lachte höhnisch, bevor er hinzufügte: »Königliche Ehen erfordern nicht einmal ein gewisses Maß an Anstand zwischen Mann und Frau. Nein, nach den Hochzeitsfeierlichkeiten werde ich viel weniger von Euch zu sehen bekommen, als ich jetzt gezwungenermaßen ertragen muss . Und dafür danke ich meinem Schöpfer. Und Ihr, Prinzessin, könnt Euch dann Liebhaber nehmen, so viele Ihr nur wollt.«
»Mit Eurem Segen?«
»Aber sicher«, sagte er großmütig. »Ich werde Euch sogar geeignete Herren empfehlen, wenn Ihr das wünscht.«
»Wartet, laßt mich raten. Euer lieber Vetter zum Beispiel?«
Vasili zuckte mit den Schultern. »Aus einem Grund, den ich mir unmöglich erklären kann, ist er Euch nicht so abgeneigt, wie man eigentlich erwarten sollte. Ja, Ihr würdet gut daran tun, Euch sein Interesse zu sichern statt seines Zorns. Schließlich hat er großen Einfluss bei Hofe.«
Etwas, das wie ein Kichern klang, kam von Sascha, der während ihres Gespräches ruhig daneben gestanden hatte. Tanya selbst konnte nicht einmal glauben, dass diese
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