Geheimnis einer Wuestennacht
sich den verletzten Ton in seiner Stimme nur eingebildet hatte, da sprach Tahir auch schon völlig verändert weiter. âMeine Brüder sind auf jeden Fall viel zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten und frischgebackenen Ehefrauen beschäftigt. Rafiq ist längst wieder in Australien, und Kareef in Qais, wie du weiÃt. Es wird eine kleine, private Zeremonie werden, über die Einzelheiten unterrichte ich dich später. Wollen wir gehen?â
Er wies mit dem Kopf in Richtung Palast, und Annalisa wusste, ihre Audienz beim König von Qusay war damit beendet â¦
11. KAPITEL
âDu hast also die Gespräche beim gestrigen Empfang wirklich genossen?â, fragte Tahir Annalisa in höflichem Konversationston und setzte seine Tasse auf dem niedrigen Tisch ab.
Sie hatten sich beide auf Wunsch von Rihana zur offiziellen Teestunde in ihrem Salon eingefunden, und da Tahir das Gefühl hatte, dass Rihana weit mehr wusste, als sie zugab, verzichtete er wohlweislich auf die steife Anrede, die ihm sicher nur ein spöttisches Lächeln von seiner Mutter eingebracht hätte.
âJaâ, bestätigte Annalisa artig seine Vermutung. âDer Empfang war sehr interessant, und es hat mir Spaà gemacht, endlich einmal wieder über Dinge diskutieren zu können, die mir wirklich am Herzen liegen.â
Tahir hob skeptisch die dunklen Brauen. âWie zum Beispiel über Archäologie, das Gesundheitswesen oder bahnbrechende Neuerungen in der Landwirtschaft?â, spöttelte er.
âAbsolut!â, konterte sie trotzig und schob angriffslustig ihr Kinn vor. âGeht es dir etwa nicht ganz genau so?â
âIch â¦â Tahir brach ab, als ihn eine unverhoffte Erkenntnis wie ein Schlag in die Magengrube traf. In den letzten Wochen war er kaum zum Luftholen gekommen, während er versuchte, alles zu lernen, was ein Monarch wissen musste, um sein Land erfolgreich und souverän zu regieren. Und während der ganzen Zeit hatte er sich nicht eine Sekunde gelangweilt. Er hatte sich herausgefordert gefühlt, war mehr als einmal zutiefst frustriert gewesen oder erfreut, wenn er feststellen konnte, dass er Fortschritte machte.
Aber nie gelangweilt â¦
âTahir?â
Zwei neugierige Augenpaare starrten ihn an. Augenblicklich versuchte er, sich wieder in die allgemeine Konversation einzufügen, bekam aber in den nächsten zwanzig Minuten kaum mit, worüber geredet wurde. Stattdessen formierte sich in seinem Kopf eine aufregende Idee.
So animiert und leuchtend, wie er Annalisa gestern Abend auf dem Empfang erlebt hatte, oder jetzt, während sie noch einmal darüber sprachen, kannte er sie eigentlich gar nicht. Hatte er sich vielleicht getäuscht, wenn er dachte, sie sei von ihrer neuen Umgebung und den Gepflogenheiten bei Hofe überfordert und deshalb so scheu und zurückhaltend? War vielleicht genau das Gegenteil der Fall?
âWas denkst du, Tahir?â, brach seine Mutter mitten in seine Gedanken ein. âWäre es wirklich möglich, eine Dezentralisierung der medizinischen Versorgung auch in Randgebieten zu etablieren, wie Annalisa es behauptet, oder ist das reine Theorie?â
Fragend schaute Tahir seine zukünftige Frau an, und als er sah, wie sie errötete, wusste er plötzlich, was zu tun war.
âWenn dich derartige Themen so fesseln, solltest du unbedingt an der nächsten Ausschusssitzung teilnehmen. Speziell im Arbeitskreis für das Gesundheitswesen.â
Zunächst wurde sein Vorschlag mit verblüfftem Schweigen aufgenommen. Dann vertiefte sich die Röte auf Annalisas Wangen.
âDas ist nicht üblich, wie du weiÃtâ, sagte seine Mutter schlieÃlich.
Als wenn er das nicht wüsste! Wenn ihn etwas an seinem neuen Amt belastete und hemmte, dann war es die verdammte Bürokratie! Er hatte nicht darum gebeten, König zu werden. Doch wenn Ãltestenrat und Bevölkerung schon darauf bestanden, dann wollte er wenigstens nach seinen Regeln regieren.
âIch werde die Verantwortlichen anweisen, euch beiden eine Einladung zum nächsten Meeting zu schicken.â
âOh, aber ich denke nicht â¦â
âDoch, Annalisa, du denkstâ, unterbrach er seine Braut lächelnd. âUnd genau deshalb möchte ich dich bei wichtigen Entscheidungen, die zum Wohl unseres Landes und der Bevölkerung von Qusay getroffen werden, auch dabeihaben. Du verfügst über unschätzbare
Weitere Kostenlose Bücher