Geheimnis um eine giftige Feder
Schoß hielt. Es hatte krauses Haar und ein nettes offenes Gesicht. Nein, dieses Mädchen wußte bestimmt nichts von häßlichen Briefen.
„Es kann nur der mürrische Mann mit der Kaninchennase sein”, dachte Gina bei sich. Sie hatte nichts zu tun, denn es war zwecklos, Herrn Grimm auszufragen. Also beobachtete sie die anderen bei ihren Bemühungen und horchte interessiert auf ihre Unterhaltung, von der allerdings manches in dem Rattern des Busses unterging.
„Guten Morgen, Fräulein Sitter!” grüßte Rolf höflich.
„Ich habe Sie lange nicht gesehen. Fahren Sie auch nach Schafhausen? ”
„Ja, der Markt dort bietet solch ein hübschen Anblick.” Fräulein Sitter klemmte ihren Kneifer fester. Er war an einer langen Kette befestigt, die um ihren Hals hing, und fiel sehr oft von ihrer dünnen Nase. Betti machte es Spaß zu zählen, wie oft er herunterfiel. Auch der Mann mit der Kaninchennase interessierte sie lebhaft.
„Waren Sie schon oft auf dem Markt?” fragte Rolf.
„Nein, nicht sehr oft”, antwortete Fräulein Sitter. „Wie geht es deiner Mutter, Rudolf?”
„Danke, es geht ihr gut. Wie geht es Ihrer Mutter, Fräulein Zitter? Ich habe sie einmal in Frau Kendlings Garten gesehen.”
„Ach, meiner lieben Mutter geht es gar nicht gut. Übrigens, Rudolf – ich heiße Sitter und nicht Zitter. Das habe ich dir schon ein paarmal gesagt.”
„Entschuldigen Sie bitte! Ich vergesse es immer wieder. Wo wohnt Ihre Mutter, Fräulein Zitt – Sitter? Besuchen Sie sie oft?”
„Sie wohnt bei Schafhausen”, antwortete Fräulein Sitter, der es offenbar schmeichelte, daß Rolf solch großes Interesse an ihrer Mutter nahm. „Frau Kendling hat mir gestattet, sie jeden Montag zu besuchen. Ich kaufe dann immer für sie ein, so daß sie eine Woche lang mit allem Notwendigen versorgt ist.”
„Fahren Sie immer mit diesem Bus?” fragte Rolf.
„Wenn es irgend möglich ist, ja. Der nächste Bus fährt erst am Nachmittag.”
Rolf gab Dicki einen verstohlenen Wink. Wenn er auch nicht glaubte, daß Fräulein Sitter die Schuldige war, hielt er es doch für notwendig, sie auf die Liste der verdächtigen Personen zu setzen. Aber sogleich änderte er seine Meinung wieder.
„In der vergangenen Woche versäumte ich den Bus und verlor dadurch einen halben Tag”, fügte Fräulein Sitter nämlich hinzu. „Es war recht ärgerlich.”
Aha! Fräulein Sitter kam also nicht als Täter in Frage. Der Brief an Ursel trug ja den Stempel vom vergangenen Montag. Wenn Fräulein Sitter den Bus verfehlt hatte, konnte sie ihn unmöglich rechtzeitig in Schafhausen eingesteckt haben. Rolf hielt es für nutzlos, das Verhör fortzusetzen, und sah aus dem Fenster.
Betti kam anfangs gar nicht dazu, ihre Nachbarin zu verhören. Frau Lustig, die den größten Teil der Bank einnahm, fragte nach ihrer Mutter und ihrem Vater. Sie erkundigte sich, wie der Garten stehe und ob sie noch den Kater hätten, der so fleißig Mäuse jagte. Betti beantwortete alle Fragen gewissenhaft. Während sie Fräulein Sitters Kneifer im Auge behielt, der schon zweimal heruntergerutscht war, beobachtete sie gleichzeitig, wie der mürrische Mann mit der Nase zuckte. Erst als sie bemerkte, welche Mühe sich Dicki gab, ein Gespräch mit dem Mann zu beginnen, fiel ihr ein, daß sie ja hier saß, um Frau Lustig auszuhorchen.
„Fahren Sie auch zum Markt, Frau Lustig?” fragte sie.
„Ja. Ich kaufe immer Eier und Butter bei meiner Schwester. Du mußt auch zu ihrem Stand gehen. Wenn du ihr sagst, daß wir gute Freunde sind, schenkt sie dir vielleicht ein braunes Ei.”
„Ihre Schwester scheint ebenso nett zu sein wie Sie”, sagte Betti.
Frau Lustig lachte. „Du kleine Schmeichelkatze!”
Betti verstand diese Bemerkung nicht recht, denn Frau Lustig war doch wirklich nett. Sie beschloß, keine weiteren Fragen mehr zu stellen. Niemand mit solch freundlichen Augen, mit einem solch hübschen Apfelgesicht und einem solch lieben Lächeln konnte einen boshaften Brief schreiben; das war gewiß.
Frau Lustig begann in ihrer Handtasche zu kramen.
„Wo habe ich denn die Bonbons hingesteckt? Ach, hier sind sie ja! Magst du Sahnebonbons, Betti? Nimm dir ein paar und gib die Tüte dann den anderen Kindern.”
Flipp saß neben der jungen Malerin. Es fiel ihm nicht schwer, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. „Was wollen Sie malen?” fragte er.
„Den Markt in Schafhausen”, antwortete sie freundlich.
„Ich fahre jeden Montag hin. Der Marktplatz liegt so
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