Geheimnis um einen entführten Prinzen
Rollo goß mit finsterer Miene Wasser über die Fensterscheiben und wischte dann mit einem dreckigen Lappen hinüber, so daß sie fast noch schmieriger als vorher aussahen.
Dicki setzte sich hin und wartete, bis er fertig war. Schließlich leerte der Junge den Eimer, warf den Lappen unter den Wagen und schnitt Dicki eine Grimasse.
„Ich bin hungrig”, sagte Dicki und nahm etwas Geld aus der Tasche. „Willst du uns nicht etwas zu essen holen?”
Sofort wurde Rollos Gesicht etwas freundlicher. Er nahm das Geld und lief fort. Nach kurzer Zeit kehrte er mit zwei Fleischpasteten, zwei Flaschen Limonade und vier großen Tortenstücken zurück und setzte sich neben Dicki.
„Bist du ein Bekannter von Oma?” fragte er. „Sie ist ein alter Drachen. Meine Tante ist viel netter. Mit ihr komm ich gut aus.”
„Du hast eine Menge Geschwister, nicht wahr?” Dicki biß in die Pastete, die zäh und altbacken war.
„Ja, elf Stück”, antwortete Rollo. „Die kleinsten sind Zwillinge. Sie schreien den ganzen Tag.”
„Wie alt sind sie?”
„Ich weiß nicht genau. Es sind noch Babys. Sie waren eine Weile bei meiner Tante, als meine Mutter krank war.”
„Hier in dem kleinen Wagen?” fragte Dicki, tapfer kauend.
„Hier waren sie nur einen Tag. Dann mietete meine Tante einen Wohnwagen bei dem Schulzeltlager und nahm sie dorthin.”
Dicki tat unbeteiligt, aber seine Augen leuchteten auf. Aha! Er war auf der richtigen Spur. Rollos Tante war also die Frau aus dem Wohnwagen, und seine kleinen Geschwister waren die Zwillinge in dem Kinderwagen, in dem der Prinz entführt wurde.
„Die Zwillinge heißen Marga und Bert, nicht wahr?”
Rollo nickte. „Ja. Du kennst unsere Familie wohl gut? Wir sind zu viele zu Hause. Einer tritt dem andern auf die Füße.”
„Deshalb hat man dich wohl auch fortgejagt.” Dicki blickte mißtrauisch auf die Tortenstücke und überlegte, ob er eins probieren sollte.
„Man hat mich doch nicht fortgejagt!” erwiderte Rollo entrüstet. „Was glaubst du wohl, warum Tallery gerade mich aus dem Haufen rausgesucht hat? Weil ich gut schauspielern kann, weil ich schlau bin und ihm sehr viel nütze.”
„Du solltest ihm was nützen? Das glaube ich nicht. Sicher bist du bloß eine Last für ihn.” Dicki reizte Rollo mit Bedacht, um noch mehr aus ihm herauszuholen, und Rollo ging ihm auch auf den Leim.
„Wenn du wüßtest, wie gut ich schauspielern kann!” entgegnete er aufgebracht. „Wenn Onkel Tallery einen Blinden mimt, kann ich ihn führen und die Leute um eine milde Gabe bitten. Ich kann wie ein artiger kleiner Junge mit meiner Tante einkaufen gehen und Sachen in meinem Ärmel verschwinden lassen, wenn sie mit der Verkäuferin spricht. Ja, ich kann sogar ein Prinz sein!”
Dicki glaubte nicht recht zu hören. In seinem Kopf begann es zu wirbeln. Ein Prinz! Wie meinte Rollo das? Überrascht starrte er den Zigeunerjungen an.
„Da staunst du, was?” rief Rollo lachend. „Glaubst du mir etwa nicht?”
„Nein”, sagte Dicki in der Hoffnung, ihn noch weiterzutreiben.
„Das dachte ich mir. Aber ich habe schon zuviel gesagt. Mehr erzähle ich dir nicht.”
„Weil du nichts zu erzählen hast”, reizte ihn Dicki weiter.
„Das ist ja alles bloß Aufschneiderei! Ein Prinz! Du und ein Prinz! Hältst du mich für so dumm, daß ich dir das glaube?”
Rollo starrte ihn böse an. Dann sah er sich vorsichtig um, als befürchtete er, daß jemand ihn belauschen könnte, und sagte leise: „Erinnerst du dich an die Aufregung in den Zeitungen über den entführten Prinzen? Bonga-Bonga oder so ähnlich hieß er. Der Prinz war ich!”
„Solche Märchen kannst du deinen Zwillingsgeschwistern erzählen”, erwiderte Dicki spöttisch, obwohl er innerlich sehr aufgeregt war. „Es gibt wirklich einen Prinzen Bongawah. Er stammt aus dem Königreich Tetarua. Ich habe seine Photographie in der Zeitung gesehen.”
„Aber ich sage dir, ich war der Prinz!” Rollo ärgerte sich furchtbar, weil Dicki ihm nicht glauben wollte.
„Wirklich? Dann kannst du mir vielleicht auch sagen, wer dich entführt hat und wie du hierher gekommen bist.”
„Ich bin gar nicht entführt worden. Ich war nur ein paar Tage in dem Zeltlager und mußte so tun, als ob ich der Prinz sei, und allerlei Unsinn reden. Dann kroch ich eines Nachts durch die Hecke und versteckte mich in dem Wohnwagen meiner Tante. Wie ich von dort fortgekommen bin, wirst du nie im Leben erraten.”
Dicki erriet sofort, wie das geschehen
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