Geheimnis um einen nächtlichen Brand
einen nach dem anderen hoch und besah die Sohlen. Die Größe schien zu stimmen.
Schließlich entdeckte sie auch ein Paar mit Gummisohlen. Wie wunderbar! Vielleicht waren es die Schuhe, die sie suchten. Aufmerksam betrachtete sie das Muster auf der Sohle. War es dasselbe wie das auf Dickis Zeichnung?
„Ich werde einen Schuh mitnehmen, um ihn mit der Zeichnung zu vergleichen”, dachte sie. „Dann werden wir ja sehen, ob es der richtige ist.”
Kurz entschlossen steckte sie den Schuh unter ihren Pullover. Er trat ziemlich stark hervor. Aber sie wußte nicht, wo sie ihn sonst verbergen sollte. Als sie aus dem Schrank kroch, kam gerade Frau Miggel mit einem Tablett aus der Küche.
Sie starrte Gina verwundert an. „Was machst du denn in dem Schrank? Spielt ihr hier etwa Verstecken?”
„Nein, eigentlich nicht”, stotterte Gina verlegen.
Kopfschüttelnd ging Frau Miggel in das Arbeitszimmer, in dem der Gelehrte noch immer auf den armen Rolf einredete, und stellte das Tablett auf einen Tisch. Gina folgte ihr dicht auf den Fersen. Sie hoffte, daß niemand den großen Klumpen unter ihrem Pullover bemerken würde.
„Ich dachte, die Kinder könnten mit Ihnen frühstücken”, sagte Frau Miggel. Als ihr Blick auf Gina fiel, stutzte sie. „Nanu? Hast du dir dein Taschentuch unter den Pullover gesteckt? Wie du aussiehst!”
„Ach, ich bewahre immer alle möglichen Dinge unter meinem Pullover auf”, erwiderte Gina ausweichend. Sie hoffte, daß niemand sie fragen würde, was sie jetzt gerade darunter hätte. Es ging auch wirklich alles gut. Rolf sah sie erstaunt an und wollte etwas sagen, besann sich jedoch noch rechtzeitig, als er bemerkte, daß der Gegenstand offenbar die Form eines Schuhs hatte.
Die Kinder tranken Milch und aßen belegte Brötchen. Aber Herr Rüchlein rührte nichts an. Frau Miggel stellte sich dicht neben ihn und versuchte immer wieder, seinen Redestrom zu unterbrechen.
„Trinken Sie jetzt etwas Milch”, sagte sie einige Male.
„Sie haben heute überhaupt noch nichts gegessen.” Als ihre Mahnungen unbeachtet blieben, wandte sie sich verzweifelt zu den Kindern: „Seit der Brandnacht ist Herr Rüchlein vollkommen durcheinander.”
„Die Vernichtung der einzigartigen und unermeßlich wertvollen Schriftstücke hat mir einen Schock versetzt”, erklärte Herr Rüchlein. „Sie waren Tausende wert. Gewiß, Schluck ist versichert und wird eine Menge Geld dafür bekommen. Aber was nützt das? Die Papiere sind nicht zu ersetzen.”
„Hatten Sie sich an dem Morgen wegen der Papiere mit ihm gestritten?” fragte Gina.
„Ach nein. Schluck behauptete, die Schriftstücke, die ich euch vorhin gezeigt habe, seien von einem Mann namens Ulinus geschrieben. Dabei weiß ich ganz genau, daß sie von drei verschiedenen Verfassern stammen. Ich konnte Herrn Schluck jedoch nicht überzeugen. Er wurde furchtbar wütend und warf mich einfach aus seinem Haus. Ich war so aufgeregt, daß ich meine Schriftstücke bei ihm liegenließ.”
„Dann erfuhren Sie wohl erst am nächsten Morgen von dem Brand”, sagte Gina.
„Ja, natürlich.” Herr Rüchlein nickte betrübt mit dem Kopf.
„Kamen Sie denn nicht in die Nähe von Herrn Schlucks Haus, als Sie Ihren Abendspaziergang machten?” fragte Rolf. „Dann hätten Sie vielleicht bemerkt, daß dort ein Feuer im Entstehen war.”
Herr Rüchlein erschrak sichtlich. Seine Brille rutschte ab. Mit zitternden Fingern rückte er sie wieder zurecht.
Frau Miggel legte beruhigend die Hand auf seinen Arm.
„Regen Sie sich doch nicht so auf, Herr Rüchlein. Trinken Sie jetzt Ihre Milch. Seit dem Brand ist überhaupt nichts mehr mit Ihnen anzufangen. Sie sagten mir doch, daß Sie nicht wüßten, wo Sie an dem Abend hingegangen seien. Sie wanderten ziellos umher.”
„Ja, so war es auch.” Herr Rüchlein ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Ich wanderte ziellos umher. Ich kann mich nicht immer daran erinnern, was ich getan habe. Nicht wahr, Frau Miggel?”
„Ja, ja, so ist es”, bestätigte die freundliche Frau, Herrn Rüchlein auf die Schulter klopfend. „Der Streit mit Herrn Schluck und die Vernichtung der Papiere haben Ihnen ordentlich zugesetzt. Beruhigen Sie sich nur wieder.”
Sie machte den Kindern ein Zeichen. „Es ist wohl besser, wenn ihr jetzt geht.”
Die Kinder nickten und schlüpften rasch zur Tür hinaus. Sie liefen durch den Garten und kletterten über die Mauer.
„Komisch, nicht?” sagte Gina. „Warum benahm er sich so merkwürdig, als
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