Geheimnis von St. Andrews
oder? Würde sich Mark deshalb gleich etwas einbilden?
Cherry wollte nicht länger grübeln. Das führte letztlich zu nichts. Sie wurde von heftigem Durst geplagt, und unter ihrer Atemmaske kam ihr die Luft besonders trocken vor. Im Eingangsbereich der Kirche standen einige Cola- und Limoflaschen herum, die offenbar für die Restauratoren gedacht waren. Cherry genehmigte sich eine kurze Pause, um dort etwas zu trinken.
Sie erhob sich aus ihrer kauernden Stellung. In St. Andrews herrschte das übliche Halbdunkel. Allerdings gab es dort Lichtinseln, wo gearbeitet wurde. Blackburn hatte einen starken mobilen Scheinwerfer eingeschaltet, um Cherrys Arbeitsplatz am Beichtstuhl gut auszuleuchten. Deshalb mussten sich ihre Augen erst wieder an das dämmrige Licht in den hohen finsteren Räumen gewöhnen.
Cherry blinzelte und legte den Kopf in den Nacken, um ihren verspannten Nacken zu entlasten.
Dadurch rettete sie vermutlich ihr Leben.
Als Cherry nämlich unter der Chorempore hindurchgehen wollte, fiel von oben ein riesiger Balken auf sie hinab. Sie stieß einen schrillen Schreckensschrei aus und sprang zur Seite. Das massive Holzstück krachte nur einen Fußbreit neben ihr auf den Granitboden der Kirche.
4. KAPITEL
Cherry konnte sich nicht auf den Beinen halten. Bei ihrer abrupten Seitwärtsbewegung verlor sie das Gleichgewicht und fiel hin. Sie stieß sich schmerzhaft den Ellenbogen an den harten Steinplatten.
Plötzlich hatte das Hämmern aufgehört, denn ihr Schrei und das Poltern des herabfallenden Balkens waren Mark nicht entgangen. Er rannte auf sie zu, um ihr zu helfen. Aber Cherry hörte noch etwas anderes.
Schnelle Schritte auf der Treppe, die zur Chorempore führte!
Aus ihrer Position konnte Cherry die Stufen nicht sehen. Aber eines war ihr jetzt klar – der Balken war nicht von selbst hinabgefallen, sondern jemand hatte kräftig nachgeholfen.
Bevor sie den Gedanken weiterführen konnte, war Mark bei ihr und nahm sie vorsichtig in seine Arme. Die Berührung tat ihr gut, denn sie zitterte am ganzen Körper.
„Mark, der Typ – er entkommt!“, stieß sie hervor.
„Was für ein Typ?“
„Der Schwachkopf, der den Balken von der Chorempore gestoßen hat!“
Cherry deutete auf das Kirchenportal. Mark lief in die Richtung. Sie hörte, wie er kurz draußen mit jemandem sprach. Dann kehrte er zu ihr zurück.
„Da ist weit und breit kein Mensch zu sehen, Cherry. Und Sam Lonnegan sagt, er hätte auch niemanden bemerkt.“
„Ich habe es mir aber nicht eingebildet!“, rief Cherry empört und verängstigt. „Da war jemand, und er wollte mich umbringen!“
„Wer wollte Sie umbringen, Miss Wynn?“
Diese Frage kam von Blackburn, der inzwischen aus der Krypta gekommen war und sich nun Cherry näherte. Seine Stimme klang weniger besorgt als genervt, aber das wunderte sie nicht wirklich. Sie berichtete, was geschehen war. Blackburn machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Das war ein simpler Unfall, nichts weiter. Diesen geheimnisvollen Attentäter haben Sie sich gewiss nur eingebildet.“
Cherry wollte schon aus der Haut fahren, aber da kam ihr Mark zu Hilfe.
„Das muss ein Anschlag gewesen sein, Sir. Sehen Sie, der Balken ist wirklich schwer. Das Holz kann nicht plötzlich ein Eigenleben entwickeln und von dem Stapel rutschen, der dort oben gelagert wird. Ich habe bereits per Handy die Polizei verständigt“, entgegnete er.
Am liebsten wäre Cherry Mark um den Hals gefallen, weil er sich auf ihre Seite geschlagen hatte. Blackburn wirkte missmutig, aber Cherry hatte ihn bisher niemals anders erlebt.
„Also gut, wenn Sie sich unbedingt blamieren wollen – die Beamten werden schon feststellen, dass alles ganz harmlos war. Sind Sie verletzt, Miss Wynn? Müssen Sie am Ende sogar Ihr Praktikum abbrechen?“
Der letzte Satz klang richtig hoffnungsvoll. Cherry konnte sich eine scharfzüngige Erwiderung nicht verkneifen. Inzwischen hatte sie den ersten Schock schon etwas überwunden.
„Keine Sorge, Mr Blackburn – so schnell werden Sie mich nicht los. Ich werde gleich weiterarbeiten, nachdem ich meine Aussage gemacht habe.“
Von draußen hörte man das Geräusch einer sich nähernden Streifenwagensirene. Gleich darauf betraten zwei uniformierte Polizisten die Kirche. Nachdem Cherry von dem Balkenfall erzählt hatte, gingen sie zur Chorempore hoch.
Cherry dachte nach. Wer hasste sie so sehr, dass er sie töten oder zumindest schwer verletzen wollte? Gab es jemanden in Pittstown, dem sie im
Weitere Kostenlose Bücher