Geheimnis von St. Andrews
mochte aber jetzt nichts Süßes naschen, denn der letzte Satz hatte sie erst richtig neugierig gemacht.
„Wieso beschuldigen? Gibt es denn jemanden, dem Sie diesen Blödsinn zutrauen würden? Bitte sagen Sie es mir. Dieses Zeichen hat mich ziemlich durcheinandergebracht. Ich will wissen, wer etwas gegen mich hat.“
Thelma Miller seufzte. „Also gut, aber es ist nur eine Vermutung. Der Einzige, dem ich diese Kritzelei zutrauen würde, ist der Sohn von Linda und John Gilmore. Er heißt Mark, wenn ich mich richtig erinnere. Hilft er nicht auch bei der Restaurierung der Kirche?“
Cherry war geschockt. „Ja, er arbeitet dort. Aber wie kommen Sie auf ihn, um Himmels willen? Warum sollte er so etwas anstellen?“
„Vielleicht war er es ja auch gar nicht“, wiegelte Thelma Miller ab. „Aber Mark ist doch ein Jahr in Afrika gewesen, um dort beim Bau einer Dorfschule mitzuhelfen. Das habe ich jedenfalls von seiner Mutter gehört, als ich sie auf dem Wochenmarkt getroffen habe.“
„Ja, von dem Afrikatrip hat er mir selbst erzählt. Aber ich kapiere nicht, weshalb Sie ihn verdächtigen, Thelma. Was hat das Pentagramm mit seinem Entwicklungshilfejob zu tun?“
„Hat Mark dir auch erzählt, dass er monatelang krank gewesen war? Seine Mutter sagte, dass er trotz Impfung Malaria bekommen hätte. Es gab in der abgelegenen Region keinen Arzt, nur eine Art Heilerin. Und diese Frau soll ihn mit irgendwelchen Zaubereien kuriert haben.“
Cherry schüttelte den Kopf. „Und Sie glauben, deshalb malt er jetzt hier in Pittstown ein magisches Symbol auf meine Reisetasche? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich habe Mark schon kennengelernt. Und auf mich wirkt er überhaupt nicht durchgeknallt, sondern völlig normal.“
Doch noch während Cherry diese Sätze sprach, begann der Zweifel an ihr zu nagen. Wie konnte sie so sicher sein, was mit Mark los war? Ihre Menschenkenntnis hatte bereits einmal kläglich versagt, als sie auf diesen Blender Tony Sanders hereingefallen war. Aber sie wollte sich einfach nicht vorstellen, dass Mark sich zu solchen Spinnereien hinreißen ließ. Außerdem war er doch die ganze Zeit bei ihr gewesen, nachdem die Tochter von Mrs Warren die fremde Tote im Sarg ihrer Mutter entdeckt hatte.
Die ganze Zeit? Nein, das stimmte nicht. Als Cherry von Inspektor Abercrombie verhört wurde, hätte Mark in aller Ruhe in die Kirche gehen und ihr Gepäck mit diesem blöden Pentagramm verunzieren können. Aber warum sollte er das tun? Um ihr Angst einzujagen und dann als starker männlicher Beschützer aufzutrumpfen?
Cherry wusste nicht, was sie von der ganzen Sache halten sollte. Sie wünschte sich inständig, dass Mark unschuldig war. Wie auch immer, sie wollte ihn unbedingt zur Rede stellen. Wenn er etwas mit dem Pentagramm zu tun hatte, würde sie das schon bemerken.
Sie trank ihren Tee aus und stand vom Küchentisch auf.
„Habe ich dich verärgert, Cherry?“
„Nein, Thelma. Überhaupt nicht. Ich bin für jeden Tipp dankbar, echt. Aber jetzt muss ich mich schnell umziehen und dann zur Baustelle zurückkehren. Mr Blackburn wartet gewiss schon auf mich.“
Cherry zog in ihrem Zimmer ihr Minikleid aus und vertauschte es gegen einen blauen Overall aus derbem Stoff, wie Monteure ihn trugen. Dieses Teil hatte sie sich extra für ihr Praktikum gekauft. Statt der halbhohen Pumps trug sie nun Arbeitsschuhe mit Stahlkappen. Irgendwie kam Cherry sich wie verkleidet vor, als sie sich gleich darauf im großen Wandspiegel betrachtete. Vielleicht war dies ein äußeres Zeichen dafür, dass mit dem Praktikum ein neuer Lebensabschnitt begann.
Als sie wenig später in St. Andrews eintraf, starrte Blackburn sie grimmig an.
„Wie schön, dass Sie uns auch schon mit Ihrer Anwesenheit beehren, Miss Wynn“, sagte er ironisch. „Wenigstens sehen Sie jetzt wie eine Restauratorin aus. Aber was in Ihnen steckt, das müssen Sie erst noch zeigen.“
Blackburn deutete auf einen der beiden Beichtstühle, die sich in der Kirche befanden. „Das Holz wurde irgendwann während der letzten dreißig Jahre mit schwarzem Glanzlack übertüncht, was natürlich furchtbar aussieht. Der Beichtstuhl stammt wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert. Sie werden jetzt zunächst den Lack abschleifen, bevor wir das Holz wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen. Dafür nimmt man normalerweise eine Maschine. Aber da wir als Restauratoren sehr vorsichtig sein müssen, machen Sie es mit Schmirgelpapier und bloßen
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