Geheimnis von St. Andrews
Händen.“
Blackburn gab ihr das Material. Unter seinem kritischen Blick begann Cherry, den Lack an einer Stelle zu entfernen, was äußerst mühselig war.
„Sie brauchen einen Mundschutz, sonst atmen Sie die giftigen Lackpartikel ein, Miss Wynn. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei dieser Aufgabe. Melden Sie sich bei mir, wenn Sie fertig sind.“
Mit diesen Worten verschwand der Restaurator im Halbdunkel des Kirchenschiffs. Cherry setzte sich eine Atemmaske auf und fuhr mit dem Abschleifen fort. Schon bald begann sie innerlich zu fluchen. Obwohl das Schmirgeln körperlich nicht sehr anstrengend war, musste sie sich stark konzentrieren. Die Anspannung trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Außerdem hockte Cherry zusammengekauert vor dem Beichtstuhl. Ihr Rücken machte sich schon bald schmerzhaft bemerkbar. Der Erfolg hielt sich in Grenzen, denn bisher hatte sie nur wenige Zentimeter von der Lackschicht entfernen können. Wenn Cherry in dem Tempo weitermachte, würde sie sich mindestens eine Woche lang mit dieser Arbeit beschäftigen müssen.
Aber es waren die üblichen Tätigkeiten eines Restaurators, wie sie aus dem Studium wusste. Deshalb biss sie die Zähne zusammen und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß weg. Bald war ihr Gesicht mit einer dunklen Schmutzschicht überzogen, denn ihre Finger waren über und über mit Staub bedeckt.
Cherrys Laune war auf dem Tiefpunkt. Sie kam sich einsam und verlassen vor, obwohl sich die anderen Mitarbeiter des Restaurierungsprojekts in Rufweite befanden. Blackburn war vorhin in der Krypta verschwunden, nachdem er Cherry diese Arbeit gegeben hatte. Sam Lonnegan werkelte wieder auf dem Gerüst vor dem Portal. Jedenfalls drangen von draußen leise Geräusche herein, die offenbar von seinen Werkzeugen stammten.
Und wo war Mark?
Kaum hatte Cherry an ihn gedacht, da trat er durch den Haupteingang in die Kirche. Er trug nun seinen Werkzeuggürtel um die Hüften. Mark winkte und kam auf den Beichtstuhl zu. Cherrys Herz hüpfte vor Freude, während sie zugleich eine gewisse Beklemmung verspürte. Wenn dieser Typ nun wirklich das Pentagramm auf ihre Reisetasche gemalt hatte? Sie würde sich ganz gewiss nicht auf jemanden einlassen, der nicht klar im Kopf war. Einen Moment lang war Cherry verwirrt. Was sollte sie von Mark halten?
„Hallo, Cherry. Wie geht’s?“
„Mittelprächtig. Ich muss den Beichtstuhl abschmirgeln, das ist meine erste Praktikumsaufgabe.“
„Sieht mir nach einer Wahnsinnsarbeit aus. Ich muss jetzt noch eine Verschalung anbringen, aber danach habe ich erstmal nichts zu tun. Ich kann dir helfen, wenn du willst.“
„Nein, danke. Ich mache das allein“, erwiderte sie abweisend.
„Bist du irgendwie sauer auf mich, Cherry?“
„Warum hast du mir nichts von der Zauberin in Afrika erzählt?“, platzte sie heraus. „Und von deiner Krankheit?“
Eigentlich hatte Cherry nicht vorgehabt, ihre Karten so schnell auf den Tisch zu legen. Aber sie musste einfach wissen, ob Mark hinter dieser Kritzelei steckte. Gerade weil sie Gefühle für ihn entwickelte, hielt sie die Ungewissheit nicht aus.
Mark schien überrascht. „Woher weißt du, dass ich Malaria hatte?“
„Ich habe es gehört, das ist alles. Und ich frage mich, ob du irgendwie auf magischen Hokuspokus abfährst. Du hast nicht zufällig ein Pentagramm auf meine Reisetasche gemalt?“
„Was soll ich gemacht haben? Mit Zauberei habe ich nun wirklich nichts am Hut. Die schwarze Lady, die mich geheilt hat, war übrigens keine Magierin, sondern eine Kräuterfrau. Solche Frauen nennt man in Afrika Witch Doctor, aber das bedeutet nicht, dass sie wirklich hexen können. Ich glaube nämlich nicht an so etwas. Du etwa?“
„Ich doch nicht“, behauptete Cherry, obwohl sie in ihrem tiefsten Inneren nicht sicher war. Seit ihrer Ankunft in St. Andrews hatte sie das mulmige Gefühl einer unterschwelligen Bedrohung, die sie weder sehen noch hören konnte.
Jedenfalls wirkte Marks Unschuldsbeteuerung glaubwürdig auf sie. Cherry wollte es sich nicht mit ihm verderben.
„Tut mir leid, dass ich dich verdächtigt habe. Ich bin extrem nervös. Wegen der Sache mit der Reisetasche denke ich, dass es jemand auf mich abgesehen hat. Ich drehe deswegen noch durch, ehrlich“, erwiderte sie.
„Schon gut, ich verstehe das. Mir ist es ähnlich gegangen. Als ich aus Afrika zurückkam, schienen in meinem Elternhaus plötzlich Dinge zu fehlen. Nichts Wertvolles, nur solche Kleinigkeiten wie ein Kugelschreiber
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