Geheimnisse der Lebenskraft Chi
gesagt?«, frage ich.
»Sie Arzt«, antwortet er mit der Stimme des Hellsehers. »Sie im Süden leben, aber arbeiten werden im Norden auf andere Erdseite.«
Er blickt mich wieder ganz normal an und kommentiert: »Erstens sagt er, dass ich Arzt.Wie kann das wissen? Dass ich im Norden arbeiten werde, aber nicht in China, in einem anderen Land - wie kann das wissen? Niemand weiß. Und das war Siebzigerjahre. Keiner ist da aus China weg. Andere Land arbeiten ganz schwierig. Und dann sagt er sehr komische Sache. Er sagt, ich werde haben westlichen Schüler - wie sagt man? - Lehrling.«
»Hat er Peter gesagt?«
Dr. Chow schüttelt den Kopf. »Hat nicht gesagt. Er sagt auch, dass ich sehr begabten jungen Schüler habe.«
»Sind Sie später noch einmal bei ihm gewesen?«
»Einmal noch, ja. Aber jetzt ist schon tot.«
Ich denke laut über die Fernsehsendung nach, in der ich Dr. Chow in Aktion erleben konnte.Was, wenn ich sie nicht gesehen hätte? Kein Unterschied, sagt Dr. Chow, unsere Begegnung sei yuen fun gewesen. Er übersetzt: »schon geschrieben«. Einmal, sagt er, sei er drauf und dran gewesen, seine Praxis drei Häuser von meiner Wohnung entfernt einzurichten. Irgendwie hätten sich unsere Wege auf jeden Fall gekreuzt.
Nicht das Schicksal, sondern Faszination und Begeisterung führen mich die nächsten Monate Tag für Tag und Woche für Woche in die Praxis. Einmal am Abend frage ich Dr. Chow an der Praxistür noch einmal nach meiner Flatrate. Ohne auch nur den Blick von den Papieren auf dem Schreibtisch zu heben, sagt er, es gehe um wichtigere Dinge als Geld. Langsam hebt er den Blick und mustert mich. In ruhigem, gemessenem Tonfall lässt er mich wissen, ich hätte mich jetzt auf die große Prüfung vorzubereiten.
»Große Prüfung? Was denn für eine große Prüfung?« Seine Mundwinkel heben sich, und etwas Belustigtes blitzt in seinen Augen. Einen Augenblick lang hat sein Gesicht die weichen Konturen der Jugend. Er versucht, sein Vergnügen nicht zu zeigen, aber es gelingt nicht ganz. »Was für eine Prüfung?«, frage ich wieder.
»Muss man selber ausfinden, was große Prüfung ist. Ausfinden gehört schon zu Prüfung.« Die Worte hängen wie Rauchzeichen in der Luft.
»Wie soll ich mich auf die große Prüfung vorbereiten, wenn ich nicht weiß, was die große Prüfung ist?« Er sagt, ich solle einfach weiter Chi Gong üben, dann werde sich eines Tages von selbst zeigen, was für die Prüfung erforderlich ist. Das habe aber noch Zeit, fügt er hinzu.
»Auf welche Art werde ich denn herausfinden, was für die Prüfung erforderlich ist? Wenigstens das werden Sie mir doch sagen können.« Aber er lässt sich nicht von mir einwickeln. Er verschränkt die Arme und schüttelt den Kopf und schüttelt dabei das Lächeln aus seinem Gesicht.
»Aber was, wenn ich nicht bestehe? Was dann?«
»Lehre zu Ende. Sie verlassen Praxis.« Er greift nach dem Stift und beugt sich über seine Arbeit. Da er nicht wieder aufblickt, mache ich mich davon, aber das Herz schlägt wie verrückt.
Pythagoras sagte, die göttlichste aller Künste sei die Heilkunst.
Soll aber die Heilkunst göttlich sein, muss sie sich der Seele
ebenso widmen wie dem Körper.
Apollonios von Tyana
CHI GONG IM STEHEN
Ich kann kaum schnell genug vorankommen in meiner Chi-Gong-Praxis. Ich will auf die große Prüfung eingestimmt sein, wann und wie sie auch kommen mag. Um mein Chi stärker zu machen, versuche ich es vomVerstand her zu manipulieren, ich schicke es mit Gedankenkraft (»Geist-Wille« nennen es die Chinesen) in diesen oder jenen Körperteil. Als ich mit Fanny, der neuen Praxishilfe, über meine Experimente spreche, flötet Alan vom Gang her zu uns herüber.
»Chi nicht kontrollieren«, sagt er, einen Stapel frischer Überzüge für die Behandlungsliegen auf dem Arm. »Das jetzt nicht gute Einstellung. Macht Chi-Praxis zu einem Tun. Chi ist nicht Tun, soll Freude machen, soll zum Lernen sein. Sie folgen nur dem Chi mit dem Geist.«
Zu der folgenden, eines C.G. Jung würdigen Synchronizität kommt es, als ich zu Hause wahllos ein Buch aus dem Regal nehme - es ist das Tao Te King - und darin lese: »Das Chi mit dem Geist beherrschen zu wollen ist direkter Angriff. Zu viel Angriffsgeist verdirbt die Dinge. Das ist nicht das Tao. Es endet bald.«
Aber was ist das Tao? In Übersetzungen werden gern Ausdrücke wie »der Lauf der Natur«, »der Weg des Universums« oder einfach »der Weg« gewählt. Die in China als Missionare tätigen
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