Geheimnisse der Lebenskraft Chi
einer dieser Übungsphasen im Stehen sitze ich mit ihm im Sprechzimmer und erzähle, dass in manchen Büchern gesagt wird, man solle beim Üben die Zunge an den Gaumen gepresst halten, sonst sei der Schaltkreis des Körpers unterbrochen.
Dr. Chow rückt seinen Stuhl freundschaftlich und kollegial heran und erklärt, er lehre diese Methode nicht; sie sei zwar nicht falsch, aber das Chi sei absolut in der Lage, jede Lücke
zu überbrücken. Peters eigene Erfahrung, sagt er, bestätige das. Ich bringe weiterhin vor, dass manche Bücher das Beklopfen der Nieren empfehlen, um das Nieren-Chi anzuregen.
Seine Antwort kommt sehr schnell und bestimmt: »Das sage ich nicht. Kann Nieren schaden.«
»Außerdem habe ich von taoistischen Methoden gelesen, bei denen das Chi durch sexuelle Praktiken aufgebaut wird.«
»Das auch gefährliche Methode. Man kann Chi verlieren so. Schon ein bisschen verlieren ist schlecht. Meine Schüler kommen ohne das aus, braucht man nicht.«
Ich habe mich immer schon gefragt, nach welchen Kriterien er seine Schüler auswählt. Als ich danach frage, schluckt er erst einmal, und mir fällt ein, dass ich irgendwo gelesen habe, Speichel sei besonders stark mit Chi angereichert. Dann öffnet sich sein Mund, und er sagt: »Wenn Chi-Gong-Training gut für Patient ist, dann bekommt er.«
»Bekommt es dann jeder?«
»Nicht so, nein.«
»Wonach richtet es sich?«
»Manchmal Patient keinen guten Charakter. Dann kein Unterricht.«
»Woran erkennen Sie, dass jemand keinen guten Charakter hat?«
Dr. Chow lehnt sich zurück und scheint zu überlegen, wie viel er preisgeben kann. Er holt Luft und sagt: »Ich werfe Chi in Richtung Kopf und schaue Aura. Wenn Aura schwarz wird, kein Unterricht.« Von Aura habe ich ihn noch nie sprechen hören. Mich erstaunt sogar, dass ihm dieses westliche Wort geläufig ist.
»Und wenn einer einen guten Charakter hat, dann unterrichten Sie ihn?«, frage ich nach.
»Auch gute Schüler sind manchmal nicht so weit. Peter nicht so weit bei ersten Begegnung. Später war so weit.«
Woran es lag, dass ich bei unserer ersten Begegnung noch nicht so weit war, weiß ich nicht. Vielleicht fehlte mir noch irgendeine ganz wesentliche Eigenschaft. Ich frage Dr. Chow, welche Eigenschaften ein Schüler besitzen sollte, und er antwortet: Intelligenz, Engagement, Disziplin, Geduld, einen guten Charakter und ein gutes Herz. Ein guter Lehrer, fügt er hinzu, muss diese Eigenschaften ebenfalls besitzen und darüber hinaus noch etwas, das sich zu lernen lohnt. Er lächelt mich aus aurasehenden Augen an, und ich erwidere sein Lächeln mit aurablinden Augen. Überhaupt, das mit der Aura kann nicht unkommentiert bleiben.
»Wenn Sie bei jemandem die Aura sehen«, frage ich, »können Sie dann allein anhand der Energieverteilung eine Diagnose stellen?«
»Ich mache nicht Diagnose so.Wende traditionelle Methode an.«
»Liegt es daran, dass diese feinstoffliche Diagnose unwissenschaftlich ist?« Das frage ich, weil ich um seine Hochachtung vor der wissenschaftlichen Methode weiß. Er sagt, auch die feinstoffliche Methode könne als wissenschaftlich gelten, wenn man sie testet und bestätigt. Außerdem besitze die feinstoffliche Diagnostik gewisse Vorteile, weil sie die Person »durchleuchtet«. So könne ein Arzt beispielsweise Nierensteine feststellen, ohne schädliche Röntgenaufnahmen machen zu müssen.
»Warum tun Sie es dann nicht?«
»Erstens, westliche Patienten fühlen sich da nicht so wohl, weil kein Beweis. Außerdem verbraucht feinstoffliche Diagnose Energie. Hier in Praxis habe ich sieben Zimmer für Patienten und manchmal alle voll den ganzen Tag. Mit Auratechnik bleibt weniger Energie für Patienten.«
Nach und nach baut das Üben im Stehen meine Ausdauer auf. Doch kaum habe ich mich endlich an die Haltung gewöhnt, kommt Dr. Chow herein und ändert sie. Die Hände, sagt er, werden von jetzt an nicht mehr vor dem Bauch gehalten. Stattdessen werde ich die Hände jetzt in Kopfhöhe halten, etwa dreißig Zentimeter entfernt und mit den Handflächen einander zugewandt. Wie ich bald feststellen muss, ermüden meine Arme in dieser Haltung schnell, und von Zeit zu Zeit muss ich sie für einen Moment hängen lassen.
Wochen später kommt Dr. Chow wieder einmal während meiner Übung herein und ändert die Haltung erneut. Jetzt muss ich die Hände mit ausgestreckten Armen und leicht einander zugewandt vor der Stirn halten. Das, sagt er, sei eine einfache und sehr wirkungsvolle
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