Geheimnisse der Lebenskraft Chi
sein, und ich möchte von Dr. Chow wissen, ob man sie auch bei eingeäscherten Chi-Gong-Meistern
findet. Sein überraschter Blick scheint zu sagen:Wo hört Peter solche Sachen? Er wischt sich den Mund mit der Serviette, bevor er spricht.
»Ja, das kann auch bei der Asche von Chi-Gong-Meister sein. Kann man finden Steine rot, gelb, grün, blau, lila und klar. Wir nennen sie Saylehtze.«
»Aus was im Körper entstehen sie?«, möchte ich wissen. Er korrigiert meine Fingerhaltung an den Stäbchen und sieht gespannt zu, wie ich eine Zuckererbse packe. Offenbar zufrieden mit mir, wendet er sich der Frage zu.
»Keiner weiß, wo Stein herkommt. Und keiner weiß, wie Stein genau entsteht. Aber Chi-Gong-Meister erzeugt diesen Stein in Körper und kann später Chi ausziehen.« Es gibt Traditionen, erzähle ich, in denen solche in der Asche gefundenen Steine zum Heilen verwendet werden. Er legt den Kopf zur Seite und überlegt. »In China so nicht. Nur zur Verehrung.« Tamiyo, perfekt mit den Essstäbchen hantierend, hat erfahren, dass man solche Steine auch in der Asche bestimmter buddhistischer Mönche aus Tibet findet. Sie werden »tibetische Tropfen« genannt.
»Ja, nicht?«, sagt Dr. Chow und steckt ein Röschen gedämpften Brokkoli in den Mund.
Jetzt spricht Tamiyo über die Unterschiede zwischen Mahayana und Theravada, den beiden großen Schulen des Buddhismus, die beide die Lehre des Buddha wiederzugeben beanspruchen. Einen der Unterschiede zwischen den beiden Schulen sieht sie darin, dass höhere oder übernatürliche Kräfte aus der Sicht des Mahayana für andere eine Hilfe sein können, während Theravada-Buddhisten die Ansicht vertreten, solche besonderen Kräfte seien eher ein Hindernis für die Erleuchtung.
Dr. Chow pochte mit dem Zeigefinger auf den Tisch und sagt: »Beide recht.« Die Kellnerin stellt frischen Tee auf den Tisch, und Tamiyo fragt Dr. Chow, ob er mit den Kräften experimentiere, die ihm aus seiner Chi-Gong-Praxis zuwachsen. Er schenkt Tee aus. Dann sagt er: »Ich habe, als ich jünger war. Jetzt spare ich alles Chi für Patienten und Schüler.«
»Aber wüssten Sie nicht gern, was Sie alles damit machen können?«
»Ich weiß, was ich machen kann«, sagt er leise.
Das Gespräch wechselt zu ganz diesseitigen Dingen, und er erzählt, wie er das Untergeschoss für seinen Tai-Chi-Kurs verändern möchte. Während er spricht, fühle ich etwas Lichtes in meinen Ming-men-Punkt am unteren Rücken einsickern, ein Licht, das sich schnell in eine rotierende Feuerkugel verwandelt. Die Wärme strahlt zu den Nieren aus, und dann schießt das Chi als ein Lichtblitz die Wirbelsäule hinauf. Ich blicke zu Dr. Chow, aber er spricht noch mit Tamiyo, und nichts lässt erkennen, dass er irgendetwas Ungewöhnliches getan hätte. Ich lasse ganz los, und das Chi wird stärker. Tamiyo fragt, wie viel man üben müsse, um Kraft und Gesundheit optimal zu entfalten. So viel wie möglich, sagt Dr. Chow.
»Gibt es eine Obergrenze?«, möchte sie wissen.
»Keine Obergrenze.«
Sie schaut ihn ratlos an. »Aber man muss doch mal schlafen.«
Er schmunzelt. »Manche Chi-Gong-Meister kein Bett. Dafür sie …«
»Kein Bett?«, entfährt es mir.
»… meditieren ganze Nacht«, beendet er seinen Satz.
»Sie müssen doch irgendwann schlafen«, sagt Tamiyo.
Dr. Chow schüttelt den Kopf. »Wenn schlafen, keine Meditation. Also nicht schlafen.«
»Überhaupt nicht?«, frage ich nach. Er schüttelt den Kopf.
»Aber träumen müssen sie doch.«
»Wenn träumen, dann das Schlaf«, klärt er mich auf.
»Denken Sie, dass Chi-Gong-Praxis besser ist als schlafen?«
»Wenn diese Frage stellen, Chi Gong nicht verstanden«, sagt er und erklärt weiter, dass der Körper nach einer Nacht der Chi-Gong-Übung am Morgen gänzlich erfrischt ist, weil das Chi viele Male durch die Meridiane zirkuliert ist. Ich halte dagegen, es müsse doch am Schlaf etwas sein, was das Chi Gong nicht leisten könne. Er runzelt nachdenklich die Stirn und nickt dann. Ja, im Schlaf erhalte man manchmal die Antwort auf eine Frage. Es kommt auch vor, dass man einfach mal schlafen möchte, räumt er ein. Als großer Befürworter der unmittelbaren eigenen Erfahrung schlägt er mir vor, ich solle doch mal eine ganze Nacht mit Chi-Gong-Übungen zubringen und dann selbst sehen, was dabei herauskommt. Ich frage, ob dieses Maß an Durchhaltevermögen auch eine Vorbedingung für die große Prüfung sei. So viel üben, wie ich kann, erwidert er, darauf komme es
Weitere Kostenlose Bücher