GEHEIMNISSE DER NACHT
legte den Hörer zurück an ihr Ohr. „Warum rufen Sie mich an? Was wollen Sie eigentlich von mir?“
„Ich will, dass du alles vergisst, was du gestern Nacht gesehen hast. Tu so, als wärest du nie dort gewesen. Erzähl niemandem davon.“
„In Ordnung. Ist mir ein Vergnügen. Wenn Sie mir erklären, was gestern Nacht dort geschehen ist.“
„Ich will nicht mit dir verhandeln, Maxine. Du tust, was ich dir sage. Vergiss, dass du mich je gesehen hast.“
„Aber …“
„Jetzt hör mir mal zu, du neugierige kleine Schlampe!“ Die Wut in seiner Stimme ließ sie zusammenzucken. „Wenn du auch nur erwähnst, dass du mich bei dem Brand gesehen hast, dann findest du als Nächstes eine Leiche vor deiner Tür. Oder einen Teil davon. Ich werde die Fotos einfach mischen und es dem Zufall überlassen, wen ich ziehe. Hast du das jetzt kapiert?“
„Ja!“ Maxine hielt inne und atmete durch. Die Empörung war einer schrecklichen Angst gewichen. Er würde ihrer Mutter wehtun, ihren Freunden. „Ja, ich … hör zu, ich weiß überhaupt nichts. Ich bin keine Bedrohung. Und ich bin die Einzige, die Sie gesehen hat. Ich habe den anderen nichts erzählt. Ich habe niemandem etwas erzählt. Sie wissen überhaupt nichts.“ Sie zitterte. Sie musste sich mit einer Hand an der Wand abstützen, weil ihre Beine sich so anfühlten, als würden sie nicht mehr lange mitmachen.
„Das ist gut. Sorg dafür, dass es so bleibt. Ich beobachte dich, Maxine. Und glaube mir, ich weiß, wie man das macht. Ich werde alles hören, was du sagst, und alles sehen, was du tust. Stell mich nicht auf die Probe.“
„Werde ich nicht.“
Er legte auf.
Maxine wäre am liebsten in sich zusammengesunken. Sie fühlte sich ausgeliefert und verletzbar. Dann trennte sie die Verbindung. Mit zitternden Fingern drückte sie erst die Sterntaste, dann sechs und neun. Vielleicht war das schon zu gewagt. Vielleicht machte er keine Witze und würde wissen, wenn sie es versuchte.
„Die letzte Nummer, die diese Verbindung angerufen hat, war“, sagte die Computerstimme. Dann folgte eine Pause, in der die Schaltkreise arbeiteten. „Es tut uns leid. Diese Nummer ist nicht verfügbar.“ Die Information endete mit einem Klicken.
Maxine schluckte und legte auf.
Was um alles in der Welt sollte sie jetzt bloß machen? Beobachtete er sie wirklich? Konnte er sie sogar in diesem Augenblick sehen? Gab es in ihrem eigenen Haus Wanzen oder versteckte Kameras? Sie dachte fieberhaft nach und fragte sich, was Oliver Stone an ihrer Stelle wohl tun würde.
Maxine zwang sich, ihren Verstand zu benutzen. Nachzudenken.
Okay. Der Typ war letzte Nacht bei einem Brand gewesen. Verwundet, verbrannt. Litt anscheinend auch an Rauchvergiftung, seinem Husten nach zu urteilen. Er musste sie beim Verlassen des Geländes gesehen haben, vielleicht war er ihr sogar nach Hause gefolgt und dann Jason und Stormy nachgefahren. Er hatte herausgefunden, wo sie wohnten, hatte sich eine Kamera besorgt, sich zurückgeschlichen und die Aufnahmen gemacht. Dann war er zu Maxine zurückgekehrt und hatte ihr Haus beobachtet. Als der Morgen graute, war er ihrer Mutter bis zur Arbeit gefolgt, um dort ein Foto von ihr zu machen. Anschließend hatte er den Briefumschlag abgeliefert und sie angerufen. Nicht von einem Münztelefon, das hätte sich zurückverfolgen lassen. Vielleicht von einem Handy. Sie beugte sich über den Anrufbeantworter, spulte zurück und drückte auf Play. Im Hintergrund der Aufnahme hörte sie Verkehrsgeräusche und das verräterische Knistern.
Sie hielt die Maschine an und nahm die Mikrokassette heraus. Er war mit dem Auto unterwegs. Genauso hörte es sich an. Er würde sie zwar beobachten, das schon. Wenn er zur CIA gehörte, dann wusste er, wie man Wanzen und Kameras anbrachte. Aber hatte er dazu schon Zeit gehabt? Wahrscheinlich glaubte er, er konnte sie genug einschüchtern, um sie im Zaum zu halten, bis er alles geregelt hatte.
Na gut.
Sie ging in ihr Zimmer, speicherte den gesamten Inhalt der CD-ROM auf ihre Festplatte, nur für alle Fälle, und steckte dann die CD und den Ausweis gemeinsam mit der Kassette in ihre Tasche und verließ das Haus. Es würde nicht ungewöhnlich aussehen, wenn sie sich auf den Weg zum Campus machte. Heute war ein ganz normaler Vorlesungstag.
Dieser mysteriösen Sache würde sie nicht weiter nachgehen, wenn sie dadurch ihre Mutter oder ihre Freunde in Gefahr brachte. Es war klar, dass der Mann seine Drohungen wahr machen und noch weiter gehen
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