Geheimnisse einer Sommernacht
auch nicht elegant“, meinte Evie. „Aber du bist s…sehr hübsch.“
„Und du bist sehr lieb“, bedankte Daisy sich und streckte den Arm, um an den Picknickkorb zu kommen. „Kommt, geben wir der armen Annabelle etwas zu essen, ich höre ja schon ihren Magen knurren.“
Enthusiastisch machten sich die vier über den Inhalt des Korbes her. Anschließend lagen sie faul auf der Decke, schauten in den Himmel, beobachteten den Zug der Wolken und unterhielten sich über alles und nichts. Als ihr Geschwätz allmählich erstarb und die eine oder andere ein zufriedenes Nickerchen machte, wagte sich ein kleines rotes Eichhörnchen aus dem Eichenwald heraus. Die schwarzen Knopfaugen beobachteten aufmerksam die unbekannten Wesen.
Annabelle gähnte leise. „Ein Störenfried“, flüsterte sie.
Evie rollte sich auf den Bauch und warf dem Eichhörnchen eine Brotkruste zu. Das scheue Tier erstarrte sofort. Es äugte zwar nach dem verlockenden Angebot, wagte aber nicht, es zu holen. Evie legte den Kopf zur Seite, ihr Haar glänzte in der Sonne, als läge ein Netz aus Rubinen darüber. „Armes kleines Ding“, flüsterte sie und warf dem ängstlichen Tierchen noch eine Krume zu, die diesmal ein paar Zentimeter näher beim Eichhörnchen landete.
Begierig bewegte sich der buschige Schwanz.
„Komm, sei mutig“, lockte Evie. „Hol sie dir.“ Geduldig warf sie ihm noch ein Stück Brot zu, das knapp vor ihm landete. „Ach, Herr Eichhorn“, stöhnte Evie. „Sie sind ein schrecklicher Feigling. Sehen Sie denn nicht, dass Ihnen keiner ans Fell will?“
Plötzlich ergriff das Tierchen die Initiative, holte sich den Leckerbissen und flitzte mit zitterndem Schwanz davon.
Triumphierend lächelnd blickte Evie auf und bemerkte, dass die anderen Mauerblümchen sie in staunendem Schweigen beobachtet hatten. „W…was ist los?“, fragte sie verblüfft.
Annabelle fand als erste die Sprache wieder. „Du hast gar nicht gestottert, als du mit dem Eichhörnchen gesprochen hast.“
„Ach so.“ Verlegen schlug Evie die Augen nieder und zog eine Grimasse. „Ich stottere nie, wenn ich mit Kindern oder Tieren spreche. Warum, weiß ich auch nicht.“
Schweigend dachten die vier eine Weile über diese verwirrende Information nach. „Wenn du mit mir redest, stotterst du auch weniger, ist mir aufgefallen“, meinte Daisy schließlich.
„Und zu welcher Kategorie gehörst du? Zu Kindern oder Tieren?“, musste Lillian ihre Schwester natürlich sofort wieder foppen.
Als Annabelle Evie fragte, ob sie wegen des Stotterns schon mal einen Arzt konsultiert habe, wechselte das rothaarige Mädchen abrupt das Thema. „Daisy, wo ist der Schl…Schlagball? Ich schlafe ein, wenn wir nicht bald spielen.“
„Sie hat recht. Wenn wir wirklich noch spielen wollen, dann sollten wir bald anfangen“, unterstützte Annabelle sie, da sie merkte, dass Evie nicht weiter über ihren Sprachfehler reden wollte.
Während Daisy in ihren Sachen nach dem Ball suchte, kramte Lillian in ihrem eigenen Korb. „Seht mal, was ich hier habe“, sagte sie stolz.
Daisy schaute auf und lachte glücklich. „Ein richtiges Schlagholz“, rief sie und betrachtete bewundernd das flache Holz. „Und ich dachte, wir müssten mit einem einfachen Stock spielen. Wo hast du das denn her, Lillian?“
„Einer der Stalljungen hat es mir geborgt. Die scheinen sich hin und wieder zu einer Runde Schlagball davonzustehlen, ganz verrückt sind sie auf das Spiel.“
„Warum auch nicht?“, meinte Daisy und begann ihr Oberteil aufzuknöpfen. „Fantastisch, so ein warmer Tag!
Herrlich, all diese Kleider loszuwerden!“
Während die Bowman-Schwestern so zwanglos ihre Sachen aufknöpften – sie waren gewohnt, sich im Freien auszuziehen – sahen sich Annabelle und Evie einen Moment lang unentschlossen an.
„Trau dich“, murmelte Evie.
„Oh Gott“, stöhnte Annabelle und begann zaghaft an ihren Knöpfen zu nesteln. Sie errötete, als ihr plötzlich klar wurde, wie unmöglich sie sich verhielt. Aber wenn selbst die schüchterne Evie Jenner bereit war, gegen Anstand und Sitte zu verstoßen, wollte Annabelle auch kein Feigling sein. Also streifte sie entschlossen die Ärmel ab und ließ das Kleid an sich hinuntergleiten, bis es als zerknitterter Stoffhaufen zu ihren Füßen lag. Da stand sie nun, nur mit Hemd, Korsett und Unterhose bekleidet, die Beine nur noch von Strümpfen bedeckt und an den Füßen leichte Sandalen. Schweißnass unter den Achselhöhlen zitterte sie in der
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