Geheimnisse einer Sommernacht
Annabelle von Hunts Schoß. Ihre Knie zitterten. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, schleuderte sie ihm die einzigen beiden Worte entgegen, die ihr einfielen: „Nie wieder!“ Wütend riss sie den Vorhang beiseite, stürzte in panischer Hast aus dem Musikzimmer und rannte über den Korridor davon.
17. KAPITEL
Simon Hunt blieb bestimmt noch eine halbe Stunde im Musikzimmer, nachdem Annabelle ihn fluchtartig verlassen hatte. Er brauchte Zeit, um seiner leidenschaftlichen Gefühle Herr zu werden, das flammende Feuer in sich selbst zu löschen. Er richtete seine Kleider, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und überlegte missmutig, wie er sich in Zukunft verhalten sollte. „Annabelle“, flüsterte er ärgerlich und zugleich verstört wie nie im Leben zuvor. Wütend über sich selbst war er. Wie konnte er sich von einer Frau so weit bringen lassen? Er, der als gewiefter und disziplinierter Verhandlungsführer bekannt war, hatte ihr das stümperhafteste Angebot gemacht, das man sich denken konnte und prompt eine Absage erhalten. Verdientermaßen. Niemals hätte er sie drängen dürfen, ihren Preis zu nennen, bevor er ganz sicher war, dass sie ihn wollte. Aber der Verdacht, dass Annabelle mit Hodgeham schlafen könnte, ausgerechnet mit Hodgeham, hatte Simon fast verrückt vor Eifersucht gemacht. All sein sonstiges Geschick hatte ihn verlassen.
Simon dachte daran, wie er sie geküsst, ihre warme seidige Haut liebkost hatte und sofort drohte die Leidenschaft wieder siedendheiß in ihm aufzusteigen. Er besaß jahrelange Erfahrung mit Frauen und hatte eigentlich angenommen, ihm wären keine körperlichen Gefühle mehr unbekannt. Aber soeben war ihm auf drastische Weise deutlich geworden, dass eine intime Beziehung zu Annabelle etwas ganz anderes sein würde. Diese Beziehung würde nicht nur seinen Körper betreffen, sondern auch seine Gefühle betreffen … Gefühle, die so beängstigend waren, dass er sie noch lange nicht recht würde einordnen können.
Ihre Beziehung war gefährlich geworden, nicht nur für ihn, sondern auch für sie. Und natürlich wollte Simon wissen, woran er war. Im Moment allerdings, glaubte er, sah die Angelegenheit nicht allzu gut für ihn aus.
Er richtete den Knoten seiner schwarzen Seidenkrawatte und verließ, leise vor sich hin fluchend, das Musikzimmer.
Langsam und stockend, nicht mit den gewohnten, weit ausholenden schnellen Schritten, ging er in Richtung Ballsaal. Die Vorstellung, den ganzen Abend lang oberflächliche Konversation betreiben zu müssen, ärgerte ihn maßlos. Seine Ausdauer bei derartigen gesellschaftlichen Einladungen, die sich über Tage hinzogen, war noch nie besonders groß gewesen. Er gehörte nicht zu den Menschen, die an Klatsch und müßigem Amüsement Gefallen fanden. Normalerweise wäre er längst abgereist, hätte Annabelles Anwesenheit ihn nicht zum Bleiben gereizt.
Übellaunig betrat er den Ballsaal und ließ seine Blicke über die Menge schweifen. Sofort entdeckte er Annabelle, die in einer Ecke neben Lord Kendall saß. Es war offensichtlich, dass Kendall verliebt in sie war. Seine schmachtenden Blicke ließen keinen Zweifel an seinem Interesse. Annabelle gab sich distanziert und schien Kendalls bewundernden Blicken auszuweichen. Sie hielt die Hände im Schoß verschränkt und sprach wenig. Simon beobachtete sie genau. Jetzt, da sie einen zurückhaltenden, unsicheren Eindruck machte, schien Kendall ironischerweise endlich Gefallen an ihr zu finden. Es würde ein böses Erwachen für Kendall geben, wenn Annabelle ihn an der Leine hatte und er entdecken musste, dass seine Frau nicht das scheue Mädchen war, das sie vorgab zu sein. Sie war eine intelligente, leidenschaftliche Frau, eine eigenwillige Induvidualistin, die einen gleichwertigen, starken Partner brauchte. Kendall würde sie niemals bändigen können. Für Annabelle war er viel zu sehr der vornehme Gentleman, zu zahm, zu nachsichtig und zu dünnblütig. Annabelle würde ihn niemals respektieren und auch an seinem Wissen würde sie keinen Gefallen finden. Letztendlich würde sie ihn sogar verachten für all das, was ihn eigentlich liebenswert machte. Und Kendall würde vor Annabelles Charaktereigenschaften zurückschrecken, gerade den Eigenschaften, die Simon so an ihr liebte.
Deprimiert wandte er sich ab und ging zur anderen Seite des Saals, wo Westcliff stand und sich mit ein paar Freunden unterhielt. „Na, amüsierst du dich gut?“, erkundigte sich der Earl leise.
„Nicht besonders.“
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