Geheimnisvolle Beruehrung
den Abgrund hinabgestiegen, dass er ein Teil von ihm geworden war. Im Augenblick wusste sie nicht einmal mehr, ob sie begriff, was hinter den dunklen Augen vor sich ging, so kalt und unmenschlich erschien er ihr. »Ich weiß es eben«, sagte sie schließlich, bezog die Sicherheit aus einem verborgenen Teil, in dem das Mädchen lebte, das sie einst gewesen war. »Rede mit mir.«
»Vielleicht hat sich deine Fähigkeit, in die Vergangenheit zu blicken, weiterentwickelt«, sagte er mit sanfter Stimme … in der der dunkle Zorn brodelte, den sie bereits gespürt hatte, als er gestern den Wärter getötet hatte. »Die Visionen deiner Cousine Faith beschränken sich auch nicht mehr nur auf Geschäftliches.«
Sie konnte den Anblick der einsamen Gestalt nicht ertragen und trat trotz aller Angst so nah an ihn heran, dass sich ihre Kleidung berührte. Am unverfänglichsten kam ihr das Thema vor, das er gerade angeschnitten hatte. »Faith hat mir geholfen, meine Firewalls zu verstärken.« Solche Schilde waren überlebenswichtig, wenn sie sich je wieder im Medialnet zeigen wollte.
»Untypisch für eine kardinale V-Mediale.«
»Der für sie zuständige M-Mediale war der Meinung, der Kontakt mit einem anderen Kind könnte die verzögerte Sprachentwicklung positiv beeinflussen.« Ein spätes Erlernen der Sprache war nicht ungewöhnlich bei V-Medialen, doch Faith hatte erst mit drei das erste Wort gesprochen. »Obwohl ich jünger war als sie, fiel die Wahl auf mich, weil ich sprachlich recht weit war.«
»Und weil ein gleichaltriges Kind vielleicht eifersüchtig auf die zusätzliche Aufmerksamkeit und die bessere Ausbildung gewesen wäre, die Faiths Status als Kardinalmediale erforderte.«
»Ja.« Sahara war von der kardinalen Cousine mit den schönen roten Haaren viel zu sehr beeindruckt gewesen, als dass sie Neid empfunden hätte. »Sie wirkte älter als sie war, und befand sich vollkommen in Silentium, war aber immer nett zu mir – ich kam mir sehr wichtig vor an ihrer Seite.« Durch die strenge Bewachung hatten sie nie wirklich Freundinnen werden können, doch das Versprechen dazu hatte in der Luft gelegen. »Ich war traurig, als ihre Fähigkeiten nach elf Monaten einen Sprung machten und weiterer Kontakt als störend und ungesund betrachtet wurde.«
Sahara war zu jung gewesen, um diese Begründung in Zweifel zu ziehen. Doch da Faith inzwischen mit einem Gestaltwandlerjaguar zusammen war, konnte sie nicht allzu zerbrechlich sein. »Hat der Clan sie verkauft?« Hatten sie Faith eingesperrt, um ihr Visionen abzupressen, die das Familienvermögen um Millionen vermehrten?
»Darüber ist nichts bekannt.« Endlich wandte Kaleb sich um.
Die ungeheure Kraft seiner vollkommen schwarzen Augen war fast körperlich zu spüren.
»Ich bin mit einer Kardinalmedialen aufgewachsen«, flüsterte Sahara, der plötzlich bewusst wurde, wie stark er sich normalerweise beherrschte. »Du bist weit mehr als das.« Was eigentlich unmöglich war, denn Kardinalmediale bewegten sich per se außerhalb der Skala, doch noch nie hatte sie einer solchen Macht gegenübergestanden.
Es war furchterregend. Doch noch mehr schreckte sie die Tatsache, dass ihr Begehren keineswegs dadurch gemindert worden war. Wie viel würde sie noch akzeptieren, wie viel würde sie vergeben und wie tief würde sie in den Abgrund hinabsteigen für den tödlichen TK -Medialen, der sie so vehement für sich beanspruchte, dass es außerhalb jeglicher Vernunft lag.
Ich war dabei, bei jeder Folter und jedem Mord.
Saharas Brust zog sich schmerzhaft zusammen, sie wandte die Augen ab und holte tief Luft, zum ersten Mal seit Stunden, wie ihr schien. Als sie wieder aufsah, schaute Kaleb erneut aus dem Fenster, die Einsamkeit umgab ihn wie ein düsterer Schild. Er würde sie nicht aufhalten, wenn sie jetzt aus dem Zimmer ginge und sich nicht weiter um ihn kümmerte. Kaleb war es nicht gewohnt, jemandem Rede und Antwort zu stehen, doch die Kehrseite des Ganzen war, dass er auch niemanden hatte, der sich sorgte, ob er je wieder nach Hause fände.
»Erzähl es mir«, flüsterte sie, und ihr Herz zersprang fast, weil solch heftige Gefühle in ihr tobten. Die Vorstellung einer Welt ohne Kaleb löste reine Panik in ihr aus, gegen die ihre Furcht vor dem, was er war, geradezu nichtig erschien. »Erzähl mir, was du getan hast.«
Er wandte den Blick nicht von den weiten, vollkommen leeren Wiesen. »Warum?«
Er stritt nichts ab. Das konnte kein Ausrutscher sein, dafür war er zu
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