Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
»Prächtig«, murmelte er dazu. »Prächtig. Und ganz zufällig habe ich diese Woche auch etwas Neues in der Angelegenheit herausgefunden.«
George Unwin schaute seinen Cousin gespannt an. Dieser Mann versetzte ihn immer wieder in Staunen. Nicht nur führte er sein Trauerbekleidungshaus, sondern hatte darüber hinaus die Finger in allen möglichen Geschäften: hier eine Fabrik, dort eine Wohltätigkeitsorganisation, edle Weine, Fleischabfälle für Hundefutter, Import und Export, Speichellecker der Reichen, großzügiger Gönner der Armen, und immer bestrebt, von beiden so viel wie möglich an sich zu raffen. Man munkelte, dass er es eines Tages zum Bürgermeister von London bringen würde.
»Der Vater der beiden – dieser Parkes – ist in Übersee verstorben.«
»Sehr gut, sehr gut … Das erleichtert einiges.«
»Und zwar dort, wo er sein äußerst umfangreiches Vermögen gemacht hat, in Amerika nämlich.« Er zog kräftig an seiner Zigarre, um sie zum Brennen zu bringen. »Und was mir durch den Kopf geht, wo du die Erbinnen nun im Sack hast, ist, dass die zehn prozent Finderlohn doch ein wenig kärglich sind. Schließlich sind wir zu zweit.«
»Du meinst, wir sollten mehr bekommen?«
»Mehr?«, fragte Sylvester Unwin zurück. »Ich finde, wir sollten alles bekommen. Ich finde, du solltest das Mädchen bei dir behalten, in die Familie eingliedern – sie adoptieren, wenn nötig – und dann ganz still und leise in ihrem Namen das Geld kassieren.« Er überlegte einen Moment. »Ja, womöglich musst du sie adoptieren, aber das will schlau eingefädelt werden.«
»Woran denkst du?«
»Nun, es soll doch nicht so aussehen, als hättest du sie erst adoptiert, nachdem du entdeckt hattest, dass sie eine reiche Erbin ist, oder?«
»Natürlich nicht!«
»Also müssen wir die Adoptionsurkunde fälschen und um zehn Jahre zurückdatieren lassen.«
»Und was wird das Mädchen dazu sagen?«
»Nicht viel! Hast du nicht gesagt, sie sei schwachköpfig?«
George Unwin nickte.
»Dann sollte es nicht allzu schwierig sein, ihr – mit ein wenig Geschick – einzureden, dass sie schon seit über zehn Jahren bei euch lebt.«
George Unwin nickte erneut. »In der Tat … in der Tat, das sollte möglich sein. Und was machen wir mit der anderen? Der Schwester?«
»Niemand weiß von ihr, und sie weiß nichts von der Erbschaft. Und das soll auch so bleiben. Vielleicht können wir sie auf eine schöne lange Reise schicken, ohne Rückfahrkarte.«
George Unwin klopfte seinem Cousin anerkennend auf den Rücken. »Ein vorzüglicher Plan«, sagte er. »Ganz vorzüglich! Teufel noch mal, kein Wunder, dass du Sly genannt wirst, alter Schlawiner, der du bist!«
HYDE PARK Der Park »par excellence« und die große Flaniermeile Londons. Drei Stunden lang jeden Nachmittag tummeln sich auf einem besonderen Abschnitt des Kutschwegs, der in diesem Jahr gerade »in Mode« ist, Kutschen dicht an dicht und fahren, kaum schneller als in Schrittgeschwindigkeit, im Kreis herum, nicht ohne dass der gesamte Verkehr hin und wieder ganz zum Erliegen kommt.
Dickens’s Dictionary of London, 1888
Kapitel 13
»Jetzt komm schon, beeil dich! Wir müssen quer durch den Park, und ich muss den ganzen Weg wieder zurück.«
Das Dienstmädchen Rose, das bei den Unwins die Tür geöffnet hatte, zerrte Lily ungeduldig an der Hand weiter. Sie hatten den Kutschweg des Parks hinter sich gelassen – er war wie immer überfüllt mit den Fahrzeugen der vornehmen Gesellschaft – und hatten die Reitbahn Rotten Row erreicht, und Lily stand und starrte mit offenem Mund den Damen nach, die in maßgeschneiderten Reitkostümen und mit glänzenden Zylindern auf dem Kopf zu Pferdedaherkamen. Wenn sie aneinander vorbeigaloppierten, wünschten sie sich gegenseitig einen guten Tag und hoben zu einem förmlichen Gruß ihren gold- oder silberverzierten Reitstock. Hin und wieder kam auch ein Gentleman mit glänzend polierten Lederstiefeln und klirrenden Steigbügeln dahergeritten, grüßte jede der attraktiven Reiterinnen vernehmlich und lüftete dazu den Zylinder.
»Warum reiten die denn alle mitten am Tag auf ihren Pferden aus?«, fragte Lily.
»Warum?«, fragte Rose zurück. »Weil sie Lust dazu haben, darum.«
»Müssen sie denn nicht arbeiten?«
Rose stieß einen sarkastischen Lacher aus. »Die doch nicht!«
»Sind die alle sehr reich?«
»Das kann man wohl sagen.«
Eine Dame und ein Herr trabten nebeneinander unter den goldbelaubten, allmählich die
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