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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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dass Mr   Sylvester Unwin die Durchsuchung vornehmen werde. Wenn er das tat, wenn er sie auch nur berührte, dann könnte sie sich nicht länger beherrschen, da war sie sich sicher. Sie war vielleicht nicht fähig, ihn umzubringen, aber ganz gewiss würde sie nicht einfach ruhig dastehen und sich von ihm anfassen lassen. Dann könnte sie einfach nicht mehr anders, als auf ihn einzuschlagen und zu kratzen und zu beißen. Und dann wäre sie verraten.
    »Niemand hat in der letzten Stunde das Gebäude verlassen, oder?«, fragte Sylvester Unwin.
    Alle schüttelten den Kopf, während Mrs   Unwin rasch durchzählte. »Wie mir scheint, nicht«, bestätigte sie.
    »Wenn also das fehlende Dokument nirgends versteckt ist, dann muss es jemand bei sich tragen.«
    »Moment mal.« George Unwin zog seine goldene Taschenuhr heraus – die Gravur mit den Worten
Für Thomas Perkins in Liebe von seiner Frau
deckte er dabei mit der Hand ab – und klappte sie auf. »Jemand
hat
das Haus verlassen. Zwei sogar. Die beiden Leichname für die morgigen Bestattungen sind bereits unterwegszur Leichenhalle in Waterloo, für den Zug morgen früh.«
    »Nun, die haben es ja wohl kaum gestohlen«, kläffte seine Frau ihn an.
    George Unwin schwieg einen Moment und sagte dann nachdenklich: »Vielleicht doch. Ich war vorhin im Kühlraum unten, und da fiel mir auf, dass einer der Sargdeckel ein wenig verrutscht war.«
    »Willst du damit sagen, eine der Leichen sei eben mal aufgestanden und hätte die Urkunde gestohlen?«
    George Unwin bedachte seine Frau mit einem vernichtenden Blick. »Ich will damit sagen, dass jemand das Dokument in den Sarg gesteckt hat, um es außer Haus zu schaffen.«
    Grace wurde ganz schwach, als sie das hörte. Sie blickte in die Gesichter der anderen Mädchen, um deren unschuldig-interessierte Mienen nachzuahmen. Sie wusste natürlich seit langem, dass die Londoner Nekropolis-Bahn die Särge, die für ein Begräbnis in Brookwood bestimmt waren, am Vorabend in der Stadt einsammelte; doch in ihrer Panik hatte sie nicht mehr daran gedacht.
    »Und nun?«, fragte Mrs   Unwin.
    »Nun müssen wir den Särgen nach«, sagte Sylvester Unwin. »Wo genau werden die hingebracht?«
    »In die Sarghalle in der Westminster Road, gleich neben dem Bahnhof Waterloo«, sagte George Unwin.
    »Und nach wem muss ich suchen?«
    »Mr   Truscot-Divine und Mr   Mayhew«, antwortete
    Mrs   Unwin. »In polierter Kirsche beziehungsweise Eiche.«
    »Oder was nach Eiche aussieht«, murmelte George Unwin. Er wandte sich an seinen Cousin. »Soll ich dich begleiten?«
    Sylvester Unwin schüttelte den Kopf. »Du bleibst hier und durchsuchst noch einmal alles, für den Fall, dass wir uns irren«, sagte er kurz. »Außerdem wartet draußen mein Kutscher mit dem Einspänner, und da ist nur Platz für mich.« Er schubste die nächstbeste Dienstmagd an. »Geh und hol mir meinen Mantel.«
    Die versammelte Schar der Angestellten löste sich unter allgemeinem Getuschel langsam wieder auf. Alle versuchten, sich einen Reim auf das zu machen, was hier vor sich ging, während Grace blass und zitternd ins Nähzimmer zurückkehrte. Was sollte sie jetzt tun? Wenn sie zuließ, dass die Dinge einfach ihren Lauf nahmen, dann würde Sylvester Unwin die Urkunde wiederfinden und alles wäre umsonst gewesen.
    Sie durfte das nicht zulassen. Nein, irgendwie musste sie jetzt zu Ende bringen, was sie angefangen hatte: Sie musste sich eine Mietkutsche nehmen und versuchen, als Erste in die Sarghalle zu gelangen.

NEBEL Während eines richtigen Londoner Nebels – der schwarz oder grau oder, am wahrscheinlichsten, orangefarben sein kann – darf sich glücklich schätzen, wer zu Hause bleiben kann.
    Dickens’s Dictionary of London, 1888

Kapitel 27
    Als Sylvester Unwin auf die Straße trat, wo sein Kutscher mit dem Einspänner wartete, konnte er diesen zunächst gar nicht finden, denn einer der berüchtigten dicken Londoner Nebel war aufgezogen, so dicht, dass er Pferd und Kutsche schluckte, obwohl sie nur ein paar Meter entfernt standen.
    »Was – ho!«, rief Sylvester Unwin. »Wo zum Teufel steckst du?«
    »Hier, Sir!«, rief der Kutscher und brach in Husten aus, als die feuchte, schmierige Luft in seine Kehle drang.
    »Verdammt, Mann. Hast du dich woanders hingestellt?«
    »Nein, Sir!« Der Kutscher winkte mit seiner Peitsche. »Hier bin ich, Sir. Ich sitze auf der Kutsche, genau da, wo sie vorher gestanden hat.«
    Sylvester Unwin streckte die Arme vor sich aus und versuchte,

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