Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
unterwegs?«
»Ja.« Ich verstummte kurz, dann gab ich mir einen Ruck. »Also, ich meine, ich bin noch unterwegs. Ich stecke im Stau, Tim, ich glaube nicht, dass ich es noch zur Party schaffe. Tut mir leid.« Geschafft. Es war die einfachste Lüge der Welt und selbst ein »Soll ich später bei dir vorbeikommen« hatte ich mir verkniffen.
»Wo steckst du denn im Stau?«, fragte Tim, und schon drohte mein Lügengerüst in sich zusammenzubrechen.
»Ähm, irgendwo zwischen … Frankfurt und Köln.« Es war die schlechteste Lüge der Welt. »Ich weiß nicht genau. Hier ist gerade kein Schild, aber ich bin noch nicht weit gekommen. Also ich bin noch näher bei Frankfurt als bei Köln. Direkt hinter Frankfurt muss das ungefähr sein. Die Autobahn ist irgendwie zu, keine Ahnung, Lkw umgekippt oder …«
»Ja, ja, schon klar«, unterbrach Tim mein Gestammel genervt. »Sehen wir uns denn morgen?« Er konnte seine Enttäuschung nur schlecht verbergen.
»Ja, auf jeden Fall. Es tut mir echt leid.«
Aber da hatte er schon aufgelegt. Lange hielt ich das Handy fest und unterdrückte den Impuls, aufzuspringen und zur Fete zu fahren. Ich hatte meine Aufgabe erledigt, eher schlecht zwar, aber ich hatte damit den Startschuss gegeben. Er würde jetzt zu Tina gehen, ihr sagen, dass ich im Stau steckte, und Tina würde ihm zum Trost ein Bier spendieren. Dann würde sie Mona in einer ruhigen Minute ein paar Lügengeschichten über Tim und mich erzählen und den ganzen verdammten Rest erledigen. Ich musste jetzt nur noch warten.
Zum Glück hatte ich vorgesorgt. Im DVD-Player warteten noch fünf Folgen Sex and the City auf mich, die mich zusammen mit einer Tüte Chips problemlos über den Abend bringen würden. Ich machte es mir auf dem Sofa gemütlich und konzentrierte mich darauf, an den richtigen Stellen zu lachen. Aber genauso gut hätte ich eine Doktorarbeit über den himmelschreienden Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Zeit schreiben können. Objektiv gesehen, dauerte eine Folge Sex and the City dreißig Minuten. Objektiv gesehen, erwarteten mich zwei Stunden und dreißig Minuten beste Unterhaltung, die ich mit zwei Gängen zur Toilette und etwas Herumzappen problemlos auf drei Stunden ausdehnen konnte. Subjektiv gesehen, brachte schon eine Folge das Kunststück fertig, zugleich unendlich lang zu sein und dabei kaum Zeit totzuschlagen. Subjektiv gesehen, konnten einem objektive dreißig Minuten also im gleichen Moment wie eine Stunde oder fünfzehn Minuten vorkommen.
Nach der zweiten Folge gab ich mein Forschungsprojekt auf. Nicht nur, weil es allmählich langweilig wurde, den Zähler auf dem DVD-Player mit meiner inneren Uhr zu vergleichen, sondern auch, weil mich die Serie zu sehr an Tim und Mona erinnerte. Bei jeder Sexszene sah ich die beiden vor mir und überlegte, wie sie im Bett wohl miteinander harmonierten. Immerhin waren sie fast gleich groß und noch dazu sportlich, hatten ihre Bewegungsabläufe in wochenlangen Gymnastikübungen aufeinander abgestimmt.
Ich feuerte die Fernbedienung aufs Sofa und lief ziellos durch die Wohnung. Alles erinnerte mich plötzlich an Tim. Tim und Mona. Mein Schlafzimmer, weil Tim mich hier in diesem Bett überhaupt erst auf die Idee gebracht hatte, als er mich nach meinen Exlovern fragte. Mein Wohnzimmer, weil im Fernseher vier Frauen ständig über Sex redeten. Im Flur konnte ich mich nur mit Mühe davon abhalten, mir Schuhe anzuziehen und zur Party zu rennen. Blieb nur die Küche. Die Küche war neutral. Tim und ich hatten weder Sex auf dem Küchentisch noch auf der Waschmaschine gehabt. Sowieso hielten wir uns in meiner Küche eher selten auf, weil ich nicht kochen konnte und Tims Küche besser ausgestattet war. Kochen wäre jetzt gut. Kochen erinnerte mich nicht an Sex oder Mona. Ich durchstöberte meine Küche nach etwas Essbarem und förderte eine Packung Nudeln und Tomatenmark zutage. Daraus ließ sich bestimmt etwas zaubern, wenn man mal davon absah, dass ich mit Lebensmitteln noch nie zaubern konnte. Ich stellte einen großen Topf mit Wasser auf den Herd. Kochen war der ideale Zeitvertreib für mich. Kochen war keine Routine. Kochen erforderte meine ganze Aufmerksamkeit.
Ich starrte in den Topf und schaute zu, wie sich auf dem Boden langsam kleine Bläschen bildeten. Lauter kleine Bläschen. Es wurden immer mehr Bläschen. Der Boden war voll mit Bläschen, und die ersten stiegen schon nach oben, als es plötzlich an der Tür klingelte. Ich zuckte vor Schreck
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