Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
besagte eine ungeschriebene Verhaltensklausel bei Trennungen, dass man als Täter nicht anrief, bis sich das Opfer von selbst meldete, aber ich wünschte mir nichts mehr, als noch einmal in Ruhe mit Daniel über alles zu reden. Dass er sich nicht meldete, ehrte ihn zwar, weil er kein anhängliches Weichei war. Meiner mangelnden Konfliktbereitschaft half er damit aber überhaupt nicht weiter.
Mein altes Handy stand für Tim. Und das Telefon für meine Mutter, die offenbar immer noch glaubte, mein Anschluss wäre kaputt, und mich daher nur noch schriftlich kontaktierte. Ihr letzter Brief war eine Einladung gewesen, zu ihrer Hochzeit.
Ich zählte also die Telefone aus. Ene mene muh. Fünfmal gewann Daniel, dreimal meine Mutter und sechsmal Tim. Ich rief keinen der drei an.
Ich schob das Treffen mit Tim Woche für Woche vor mir her. Woche für Woche wuchsen auch meine Gewissensbisse, quasi analog zum Bauch. Ich war geübt darin, Probleme vor mir herzuschieben, bis sie unlösbar wurden. Und unter dieser Kategorie hatte ich auch die Begegnung zwischen Tim, mir und dem ungeborenen Baby schon heimlich abgelegt.
Aber dann traf ich ihn doch.
Im Supermarkt. An der Tiefkühltruhe. Und zwar in dem Moment, als wir gleichzeitig nach der letzten Pizza mit Tomate und Mozzarella im Doppelpack griffen und ich mich empört umdrehte, um zu schauen, wer es wagte, einer schwangeren Frau das wichtigste Grundnahrungsmittel aus der Hand zu reißen. Tim wagte es, und ich hatte keine Gelegenheit mehr, meine Schwangerschaft vor ihm zu verbergen. Bauch einziehen half nichts, und inzwischen konnte man die starke Wölbung unter meinem Pulli auch nicht mehr mit akutem Mangel an Bewegung erklären.
Einen Moment lang starrten wir uns beide ziemlich entgeistert an, dann wagte ich ein zaghaftes »Äh, hi«, wobei die Betonung mehr auf dem ersten Wort lag. Tim dagegen hatte es komplett die Sprache verschlagen, und es dauerte eine Weile, in der er ununterbrochen auf meinen Bauch starrte, bis er die einzig mögliche Frage stellte, die er in so einer Situation stellen konnte, ohne Begrüßung oder andere überflüssige Formalitäten: »Du bist schwanger?!«
Das war genaugenommen noch nicht einmal eine Frage, sondern eine Feststellung, gefolgt von der gleichen Feststellung meinerseits: »Äh, ja, stimmt!«
Ich schaute jetzt genauso verwirrt auf meinen Bauch und nickte. Eindeutig schwanger. Dann zuckte ich leicht mit den Schultern, so als könnte man jetzt nichts mehr daran ändern. Konnte man auch nicht. Tim stellte die zweite einzig mögliche Frage, und diesmal war es tatsächlich eine Frage, was mir einen kleinen Stich versetzte. »Von Daniel?«
Ich schüttelte den Kopf. Vor fünf Monaten wäre es vielleicht noch ein schöner Moment geworden, es Tim zu sagen. Vielleicht sogar der schönste in unserem Leben, so was hörte man ja ständig von schwangeren Eltern. Aber jetzt hatte ich Tim um diese fünf Monate betrogen. Um fünf Monate seines Vaterseins. Ich schluckte und sah Tim direkt in die Augen. Mein leises »Von dir« war kaum von einem ganz normalen Ausatmen zu unterscheiden.
Ich erwartete, dass er jetzt ausflippte, mich anschrie, vielleicht sogar handgreiflich werden und mir mit dem Pizzadoppelpack, den er immer noch in der Hand hatte, eins überziehen würde, aber ich hielt seinem Blick stand. In seinen Augen konnte ich erkennen, wie er mit sich kämpfte, wie er zögerte, nicht wusste, wie er auf diese Neuigkeit reagieren sollte. Er blieb regungslos stehen und fragte monoton: »Welcher Monat?«
»Sechster«, antwortete ich genauso monoton. Jetzt half nur noch die Flucht nach vorn, auch wenn sich bei mir innerlich alles zusammenzog und ich schon befürchtete, hier an der Tiefkühltruhe eine astreine Frühgeburt hinzulegen. Tim gab einen Laut von sich, den ich nicht einschätzen konnte. Er lag irgendwo zwischen einem hysterischen Kichern und einem verächtlichen Schnauben. Seine unheimliche Ruhe tat mir fast körperlich weh. Ich konnte sie nicht länger ertragen. Entweder er ließ endlich das reinigende Donnerwetter los, oder ich musste gehen.
Aber dann war es Tim, der einfach ging. Er drückte mir die Pizzapackung in die Hand und steuerte im Schnellschritt auf den Ausgang zu. Einen Augenblick lang blieb ich irritiert stehen, dann rannte ich ihm nach.
»Warte«, schrie ich quer durch den Supermarkt. »Du kannst doch jetzt nicht einfach so gehen.«
»Wieso nicht? Du wolltest es mir doch auch nicht sagen«, rief er zurück, ohne seinen
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