Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
Schritt zu verlangsamen.
Tim war schon fast um die Ecke gebogen, als ich endlich auf dem Bürgersteig ankam und ihm nachrief: »Es tut mir leid, Tim. Glaub mir, ich hatte nie vor, es dir nicht zu sagen. Aber du wolltest mich doch nicht mehr sehen.«
Ich lief ihm hinterher. »Bitte, Tim, jetzt renn nicht schon wieder weg«, keuchte ich, und endlich blieb er stehen.
Er kam langsam auf mich zu. Und als er vor mir stand, merkte ich plötzlich, was Tina meinte. Er sah abgekämpft aus, schlecht irgendwie. Seine strähnigen Haare reichten ihm inzwischen fast bis zum Kinn. Tränen schwammen in seinen Augen, als ich versuchte, seinen Blick aufzufangen.
Er schaute weg. »Du hättest es mir sagen müssen, Karina!«
»Ich weiß. Es tut mir so leid.« Jetzt sah er mich doch an. »Wenn ich damals gewusst hätte, dass wir uns nicht mehr wiedersehen, hätte ich es dir sofort gesagt, aber … dann war plötzlich alles so schnell … vorbei.«
Ich forschte in seinem Gesicht nach irgendeinem Zeichen dafür, dass er mich verstand, mir vielleicht sogar ein kleines bisschen verzieh. Tim nickte langsam.
»Lass uns doch in Ruhe darüber reden. Es muss ja nicht jetzt gleich sein. Vielleicht wenn …«
»Wann?«, unterbrach Tim mich etwas ruppig.
»Ich weiß nicht, wann du möchtest. Wir könnten einen Spaziergang machen. Vielleicht ein paar Runden um den Aachener Weiher drehen. Ohne Inlineskater allerdings«, sagte ich in Anspielung auf sein Weihnachtsgeschenk, um das Ganze etwas aufzulockern.
Wenigstens auf diesen Teil war ich vorbereitet. Bestens vorbereitet, um genau zu sein, denn der Ort unseres Treffens war das Einzige gewesen, das in meinem Plan konkrete Formen angenommen hatte. Er musste neutral sein, also schieden unsere Wohnungen schon mal aus. Trotzdem mussten wir ungestört reden können. Kneipen waren zu laut, Cafés zu leise, falls wir selbst laut wurden. Ein Spaziergang war das einzig Richtige in dieser Situation. Wir würden uns nicht die ganze Zeit steif gegenübersitzen und hätten was zu tun, ohne zu sehr abgelenkt zu sein. Der einzige Makel war der Aachener Weiher selbst, weil Tim mir dort die ersten Schritte auf den Inlineskater beigebracht hatte. Aber dieser kleine viereckige Teich lag für uns beide genau zentral, und allzu viele Ecken zum Spazierengehen kannte ich in Köln nicht, weil ich sonst nie spazieren ging.
Tim nickte wieder: »Also gut, nachher um vier auf unserer Bank?« Er meinte die, auf der wir uns immer die Inliner angezogen hatten, und diesmal nickte ich. Tim wandte sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen.
»Tim?« Aus Reflex hatte ich nach seinem Arm gegriffen und ließ ihn jetzt etwas beschämt los, als er sich zu mir umdrehte. »Versprich mir, dass du diesmal kommst, ja!«
Ich meinte, den Anflug eines Lächelns auf Tims Gesicht zu erkennen, aber wahrscheinlich war es auch nur eine optische Täuschung.
»Keine Angst, Karina, ich werde da sein.«
Ich sah ihm nach. Als er um die Ecke gebogen war, setzte ich mich auf den Bordstein. Meine Beine schlackerten. Mein Kopf glühte. Ich versuchte, mein Gesicht mit den Händen zu kühlen, und merkte erst jetzt, dass meine Wangen ganz feucht waren. Ich hatte keine Ahnung, wann ich angefangen hatte zu weinen, aber ich heulte einfach weiter.
Plötzlich Papa
Erst kurz vor vier machte ich mich auf den Weg. Ich wollte diesmal sichergehen, dass ich nicht wieder als Erste da war, um meinen Gefühlen eine Achterbahnfahrt wie damals im Café zu ersparen.
Die Stunden bis zu unserem Treffen hatte ich in einer Art Trance auf dem Sofa verbracht. Mein Kopf war vollkommen leer. Mein Herz war leer. Ich war leer. Von oben bis unten, wenn man mal von dem Winzling in meinem Bauch absah. Ich hatte mich weder auf das Gespräch vorbereitet, noch konnte ich strategische Überlegungen zu meiner Kleidung oder meinem Gesamtauftreten anstellen. Ich hatte einfach nur auf dem Sofa gesessen und gelegentlich auf die Zeitanzeige des DVD-Players geschaut, bis ich mir selbst unheimlich wurde. Um Viertel vor vier hatte ich mich gezwungen, noch zehnmal bis sechzig zu zählen, und festgestellt, dass ich schneller war als mein Sekundenzeiger. Dann hatte ich mir einfach meinen alten Parka übergeworfen und war losgefahren.
Als ich mich der Bank von hinten näherte, sah ich, dass meine Vorsichtsmaßnahmen überflüssig gewesen waren. Tim saß schon da. Er stand sofort auf, als er mich bemerkte, und nahm mir damit die Entscheidung ab, ob ich mich neben ihn setzen sollte. Zum Glück war
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