Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
viel zu überzeugt aus der Kirche ausgetreten. Eine Schikane weniger, fand ich, denn es gehörte zu einem meiner Hochzeitsalbträume, mit meinem dicken Bauch äußerst unelegant durch Reihen voller Verwandter schreiten zu müssen und womöglich noch auf der viel zu langen Schleppe meiner Mutter auszurutschen. Statt Großaufgebot in der Kirche gab es nur eine kurze standesamtliche Trauung mit anschließendem Kaffee-und-Kuchen-Empfang in der Kölner Altstadt und einer abschließenden »Megaparty« inklusive Übernachtung in einem luxuriösen Schlosshotel draußen im Bergischen Land, für die Tina mir in letzter Minute noch ein Einzelzimmer reservieren konnte. Dass Tim dagegen nun doch ein Doppelzimmer bekam, hatte sie gar nicht erwähnt.
Gegen elf fand ich mich mit meinem Vater und seinem ledrig-braungebrannten neuen Freund vor dem Rathaus in der Altstadt ein. Zunächst hielt ich die aufgetakelte Blondine für eine Ex von Chris, weil sie sich die ganze Zeit hinter seinem breiten Rücken versteckte. Erst als Tim uns gegenseitig bei der üblichen Begrüßungsrunde mit »Karina, Susanne, Susanne, Karina« vorstellte, wusste ich Bescheid. Einen Moment lang setzten bei mir sämtliche Körperfunktionen aus, da ich nicht im Entferntesten damit gerechnet hatte, dass Tim sie mitbringen würde. Ich musste ihr ziemlich lange die Hand geschüttelt haben, denn ich ertappte mich Sekunden später immer noch händeschüttelnd bei der Erkenntnis, dass sich Tims Frauengeschmack nach mir offensichtlich grundlegend geändert hatte. Von mittelklein, vollbusig, um es mal positiv zu formulieren, und rothaarig zu groß, dürr und blond. Damit sanken meine ohnehin schon minimalen Chancen, Tim durch Abwarten zurückzubekommen, gen null.
Den Rest der Trauung bekam ich nur noch durch einen Schleier mit. Der Standesbeamte musste mich zweimal dazu auffordern, meine Unterschrift unter die Urkunde zu setzen. Irgendwann war es zum Glück vorbei. Wir verließen das Standesamt. Tim und Chris ließen Korken knallen. Und wir stießen auf das frisch getraute Ehepaar an. Ich zwang mich dazu, ein paar Worte zur allgemeinen Unterhaltung beizutragen, ließ mich sogar neben Tim auf dem Hochzeitsfoto ablichten und beantwortete brav alle Fragen der Verwandtschaft zu dem Baby. Kurz, ich funktionierte, einigermaßen.
Zum Kuchenempfang in einer nahe gelegenen Kneipe kamen zum Glück ein paar Gäste mehr, und ich konnte mich unter die Menge mischen, ohne Tim und dieser Susanne ständig über den Weg zu laufen. Ich wechselte ein paar Worte mit Kollegen meiner Mutter, die ich von früher noch kannte, begrüßte selbst den Teil der Verwandtschaft überschwänglich, der mich immer nur als schwarzes Schaf der Familie abgestempelt hatte, und ließ mich von dem ein oder anderen Mathematikstudenten anquatschen, für den meine Mutter wohl mehr als nur eine Professorin gewesen war. Hauptsache, ich musste mich nicht mehr mit Tim und seiner Susanne abgeben.
Das Schlimmste stand mir allerdings noch bevor – unsere Reden. Irgendwann schlug jemand ganz unprofessionell gegen eine Kaffeetasse und läutete damit die Rederunde ein. Tim und ich mussten zuerst, so wie es sich für echte Trauzeugen gehörte. Er wollte mir den Vortritt lassen, aber nach einigem Hin und Her, das die meisten Umstehenden schon für eine lustige Schaueinlage hielten, machte Tim doch den Anfang. Überraschenderweise war er ein guter Redner und fand genau die richtige Mischung aus rührenden Worten und amüsanten Anekdoten, so dass Chris ihn nachher den Tränen nahe umarmte. Ich dagegen hasste Reden. Ich konnte sie meinetwegen schreiben, aber das Reden überließ ich lieber anderen. Diesmal fand sich allerdings keiner, der mir die Arbeit abnehmen würde, und so fing ich mit zitternder Stimme an, vom Zettel abzulesen. Gestern Abend hatte ich mir die Rede nach langem totalen Blackout einfach als Artikel vorgestellt und versucht, die Ehe zwischen Chris und meiner Mutter wie ein Fußballspiel zu beschreiben. Angefangen mit einem rasanten Auskontern der Skeptiker (zu denen ich hauptsächlich mich selbst zählte), dann einer schnellen Überwindung des Mittelfeldes durch Doppelpass-Spiel statt vorsichtiger Annäherung durch Ball-Tändeleien, bis zur gelungenen Steilvorlage meiner Mutter, bei der Chris den Ball nur noch ins Netz schieben musste.
Ein bisschen zynisch das Ganze, aber ich hatte trotzdem den ein oder anderen Lacher auf meiner Seite. Bis ich am Ende zum herzlichen Teil übergehen wollte und ins
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