Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
einem Mann erwarten?«
Ich bekam eine Gänsehaut, als sie das sagte, weil es mir mit Tim genauso gegangen war. Er hatte mich glücklich gemacht – und unglücklich, so wie kein anderer. Ich nickte abwesend. Ich konnte nichts weiter darauf erwidern. Den Teil von Liebe hatte selbst ich verstanden.
»Und du, kannst du mir einen Grund nennen, warum ich Chris nicht heiraten sollte?«, fragte meine Mutter plötzlich. Ich wich ihrem Blick aus. Es wäre einfach gewesen, ihr in diesem Moment meine Affäre mit Chris zu beichten, aber was tat die jetzt noch zur Sache? Sie wäre eine kleine dunkle Wolke an ihrem siebten Himmel gewesen, mehr nicht. Es würde sie kaum von ihrer Liebe zu Chris abbringen, und warum sollte ich ihr Glück jetzt noch schmälern? Ich schüttelte den Kopf. Eine Entschuldigung lag mir auf der Zunge, aber bevor unser Gespräch zu emotional werden konnte, polterte Chris wieder ins Wohnzimmer.
»Hey, Wahnsinn. Das waren gerade zwei Kumpels aus Texas. Sie kommen auch, ist das nicht geil?« Er beugte sich über das Sofa und drückte meiner Mutter kopfüber einen Kuss auf den Mund, bevor er einen kleinen Freudentanz aufs Parkett legte. »Und was habt ihr zwei Hübschen hier für Geheimnisse? Seid bloß vorsichtig, Opa hat noch ganz gute Ohren.«
Mit einem Satz sprang er über die Sofalehne und landete direkt neben meiner Mutter. Er sah uns fragend an.
Ich räusperte mich schnell: »Dafür ist Opa aber nicht mehr der Schnellste. Ich habe schon alles mit deiner Zukünftigen geklärt. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.« Ich tauschte einen kurzen Blick mit meiner Mutter aus, die mir dankbar zulächelte. »Die restlichen Formalitäten werde ich dann mit dem anderen Trauzeugen besprechen. Meint ihr, der kommt bald zurück?«
Ich hatte mich bemüht, diese Frage ganz nebenbei zu stellen, aber es war unmöglich. Ungezwungene Fragen nach dem Ex wirkten immer gestellt.
»Das glaube ich nicht«, nuschelte Chris, während er sich eine Handvoll Chips in den Mund stopfte. »Tim hat heute sein erstes großes Date mit seiner neuen Schnalle. Könnte länger dauern, schätze ich.«
Damit hatte Chris seine Ehrlichkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Jeder andere Freund hätte eine Notlüge erfunden oder es zumindest weniger deutlich formuliert, aber nicht Chris. Knallhart und direkt, wie eine Ohrfeige. Dementsprechend benommen sah ich ihn an. Meine Mutter warf mir einen mitleidigen Blick zu, aber bevor es zu peinlich werden konnte, sagte ich schnell: »Ach so, ja, hatte ich ganz vergessen.« Als wäre Tims neue Freundin ein alltägliches Gesprächsthema zwischen uns. »Na ja, ich muss dann auch mal los.« Ich hievte mich aus dem viel zu tiefen Sessel und verabschiedete mich, so schnell es ging. Bevor das flaue Gefühl in meinem Magen vollständig die Kontrolle über mich übernehmen würde.
Schneekugel
Draußen angekommen, ließ ich das Auto stehen und ging einfach weiter, zu Fuß, irgendwohin. Ich brauchte frische Luft, um nicht an dem Kloß in meinem Hals zu ersticken. Jetzt hatte ich endlich die lang erwartete und trotzdem gefürchtete Antwort. Tims Freundin. Es war also passiert. Er hatte eine neue Freundin. Das erklärte natürlich seine Zurückhaltung, wenn wir uns sahen. Ihm ging es tatsächlich nur und ausschließlich um das Baby. Als Familie würde es uns nicht geben. Nur mich und das Baby und Tim. Vielleicht gab es auch ihn, seine Freundin und das Baby und mich. Wenigstens war bei uns alles schon vor der Geburt entschieden. Alles vorher klar geregelt. Keine Erblast für unser Kind.
Als meine Eltern sich trennten, war ich sechzehn. Alt genug, um es zu verstehen, aber jung genug, um ihnen nicht zu verzeihen. Dabei war es wirklich nicht ihre Schuld gewesen. Sie waren genauso geschockt wie ich. Mein Vater, weil er sich in einen Mann verliebt hatte. Meine Mutter, weil sie sich von ihm um achtzehn harmonische Ehejahre betrogen fühlte. Plötzlich brauchte er Abstand von uns. Ausgerechnet er, der Knotenpunkt unserer Familie, der alles zusammengehalten hatte. Meine Mutter, die es als Mathematikerin gewohnt war, Lösungen zu finden, wusste nicht mehr, wo links und rechts war. Alles war Chaos hoch zwei. Und ich wollte nur noch weg von zu Hause. Mit siebzehn zog ich in eine Studenten-WG. Schule wurde zur Nebensache zwischen den Partys. Mein Abi bestand ich zwar noch recht souverän, aber mein Studium fand hauptsächlich in verrauchten Kneipen und Discos statt. Ich wechselte von WG zu WG, von Freund zu Freund.
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