Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
Stocken geriet. Ich schaute auf, sah in die vielen erwartungsvollen Gesichter, wandte mich direkt an Chris und meine Mutter und brachte nicht mehr zustande als ein »Viel Glück«. Die Menge wartete stumm auf meine weiteren Glückwünsche. Ich wurde rot. Dann brach Tim die peinliche Stille schließlich mit einem lauten Klatschen, so dass alle mit einsetzen mussten.
»Tolle Rede«, flüsterte er mir zu, während Chris’ Vater nun einige Worte an seinen Sohn und dessen Frischvermählte richtete.
Ich tat das Lob mit einem Kopfschütteln ab. »Hauptsache, es ist bald geschafft.« Dann floh ich auf die Toilette.
Ich saß fast eine Viertelstunde auf dem Klodeckel, versuchte, meinen Kopf zu kühlen, in dem das Blut nur so pochte, und gleichzeitig meine Tränen zurückzuhalten. Unentwegt musste ich an Susanne denken, wie sie auf ihren hochhackigen Pfennigabsätzen und dem viel zu knappen schwarzen Glitzerkleid selbstbewusst durch die Menge stolzierte und gekonnt ein paar Worte mit ihr wildfremden Leuten austauschte. Das lernte man vermutlich als Diplomatentochter mit Weltmeistertitel. Aus den Augenwinkeln hatte ich ein paarmal gesehen, wie Tim sie scheu küsste und ihren Nacken streichelte. Wahrscheinlich bemühte er sich, vor meinen Augen keine wilde Knutscherei mit ihr anzufangen, aber diese kurzen zärtlichen Gesten hatten mir gereicht. Eigentlich waren sie sogar schlimmer als übertriebenes Aneinanderherumfummeln mit dem offenkundigen Ziel, die Exfreundin zu ärgern. Sie zeugten von wahren Gefühlen, und das war unerträglich. Wie konnte Tim sie nur zu dieser Hochzeit mitbringen? Entweder er war ein absolutes Arschloch oder dachte sich einfach nichts dabei. Ich tendierte zu Letzterem, das würde zu Tim passen. Vermutlich traute er mir Gefühle wie Eifersucht gar nicht zu. Ich wischte eine weitere Träne weg und raffte mich auf, bevor meine Mutter einen Suchtrupp losschickte.
Als ich zurückkam, waren die Reden beendet. Jetzt wurden Geschenke überreicht und noch mehr Glückwünsche ausgesprochen, und ich konnte mich unauffällig in die Ecke zurückziehen und meinen depressiven Gedanken nachgehen.
Auch nach dem Empfang gab es für mich kein Entrinnen, nicht mal für ein paar Stunden. Denn nun ging es für uns alle nach draußen ins Bergische Land. Ich fuhr bei meinem Vater mit, aber die Fahrt dauerte nur knapp vierzig Minuten und war als Erholungspause ein kompletter Reinfall, da mein Vater mich unentwegt nach dem Baby, Tim und meinen Zukunftsplänen ausfragte. Als wir auf dem Parkplatz des noblen Schlosses hielten, war ich erst recht gerädert, und die Tortur ging nahtlos weiter. Nach einem Hochzeitsspaziergang im weitläufigen Schlosspark folgten noch ein paar Hochzeitsfotos und ein Fünf-Sterne-Hochzeitsessen mit kleinen Portionen und langen Wartezeiten zwischen den Gängen, so dass man noch nicht einmal gute Manieren vortäuschen konnte, um sich nicht unterhalten zu müssen. Ich hatte Tim und Susanne ständig in meiner Nähe. Händchen haltend, tuschelnd, Arm in Arm. Ein paarmal versuchte Susanne, mich höflich in ihr Gespräch mit einzubeziehen, aber ich blockte unhöflich ab.
Das Essen ging irgendwie vorüber, und endlich übernahm Chris’ Fraktion den entspannteren und inoffiziellen Teil der Hochzeit. Die Party fand in drei Sälen statt, so dass für alle Altersklassen gesorgt war. In dem größten Saal brachte Hip-Hop und Trip-Hop die Chris-Generation zum Zappeln, in dem mittleren wurde den Alt-68ern mit Jimi Hendrix und den Rolling Stones eingeheizt. Und in dem letzten stand das kalte Büfett. Dort ließ ich mich nieder, nachdem ich einmal durch sämtliche Räume gewandert war und weder P-Diddy hören wollte noch zusehen mochte, wie Tim seine Angebetete zu Rockklassikern über die Tanzfläche schob. Das Fünf-Sterne-Menü hatte meinen Magen nicht wirklich ausgefüllt, daher belud ich mir einen Teller mit weiteren Miniportiönchen des exquisiten Büfetts. Tina war auch jetzt noch mit Organisieren beschäftigt, etwas, das sie in Perfektion beherrschte, und telefonierte dauernd mit zwei Handys gleichzeitig, während sie durch die Säle rollte und den Kellnern zwischendurch Anweisungen gab. Da ich sonst kaum Leute auf der Party kannte, setzte ich mich an die lange Tafel zu unseren Verwandten und bekam gerade noch den folgenschweren Satz »Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?« mit, den meine Tante väterlicherseits an meine Mutter richtete.
»Auf Karinas Geburtstagsparty«, antwortete sie
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