Gehetzt - Thriller
vor ihnen und verschwand aus ihrem Blickwinkel.
»Verdammt und zugenäht!«, zischte Diane. Sie zählte bis zehn, dann setzte sie den Blinker und zog hinüber auf die linke Spur.
»Was machst du denn da?«, fragte Gail mit panischer Stimme.
»Ich will wissen, wohin er fährt.«
»Ist doch scheißegal. Hauptsache er fährt weiter.«
»Genau das will ich ja herausfinden. Ob er wirklich weiterfährt.«
Der Streifenwagen war jetzt weit vor ihnen; die Fahrzeuge auf der linken Spur wichen schnell auf die rechte zurück, um ihn vorbeizulassen. Diane ließ den Wagen nicht aus den Augen, bis er kaum noch zu erkennen war. Dann erst ließ sie sich wieder zurück hinter den Laster fallen.
»Alles klar«, sagte sie. »Alles klar.« Sie sah zur Seite. Gail hat te die Augen ge schlos sen, ihr Kopf lehnte am Rücksitz; wie es schien, war sie eingenickt. »Manchmal ist es ziemlich beschissen, nicht mehr bei der Polizei zu sein.« Diane redete mit sich selbst. Sie stellte den Tempomaten ein und nahm den Fuß vom Gaspedal. Dann schaltete sie das Radio ein und drückte den automatischen Sendersuchlauf, bis sie Bonnie Raitt hörte - Let’s give them something to talk about - und bei dem Sender blieb. Sie fuhr weiter und fragte sich, wie, um alles in der Welt, Gail jetzt schlafen konnte und ob Renfro wohl Glück hatte.
Die Sonne stand tief am Horizont, und Di ane dachte, dass Gail mit Sicherheit aufwachen würde, als sie Richtung Tankstelle einbog, doch Gails Augen machten keine Anstalten, sich zu öffnen. Diane stieg aus, tankte voll, zahlte bar und fuhr weiter auf den Parkplatz. Gail schlief immer noch. Diane betrachtete sie, das Flackern ihrer Augenlider, während sie träumte. Diane musste zur Toilette, aber sie wollte Gail nicht ungeschützt und schla fend draußen im Auto zurücklassen, wo jeder sich unbemerkt heranschleichen konnte. Sie wartete, bis die nachlassenden Augenbewegungen unter Gails blassen geschlossenen Lidern das Ende der Traumphase signalisierten.
»Gail?« Diane berührte ihre Schulter. Gail regte sich und schüttelte den Schlaf ab. Sie starrte durch die Windschutzscheibe, blinzelte und rieb sich die Augen.
»Wo sind wir?«
»Nördlich von Oklahoma City.«
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Nein. Ich muss mal.« Diane stieg aus und machte auf dem Weg zur Damentoilette noch einen kurzen Abstecher in den Qwik Stop, um sich den Schlüssel geben zu lassen.
Gail blieb sit zen, ihr Gesicht fühlte sich vom Schla fen noch ganz taub an. Sie konnte es nicht fassen, dass sie so lange geschlafen hatte. Und dann auch noch so tief. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so tief geschlafen hatte. Ob sie überhaupt jemals so tief geschlafen hatte. Sie hatte noch immer Mühe, wach zu werden. Ihr war, als würde sie durch ein hauchdünnes Gazetuch blicken; selbst das knallige Orange und Rot auf dem Plastikschild an dem Qwik Stop kamen ihr trübe vor. Sie zwang sich, aus dem Auto zu steigen und streckte sich. Dann rieb sie sich mit den Händen das Gesicht und ging auf wackligen Beinen zur Damentoilette.
Als sie zurückkam, saß Diane am Steuer.
»Alles klar mit dir?« Gail stand am Fenster.
Diane nickte.
»Lass mich kurz telefonieren.«
Diane sah hinter Gail her, die zum Münztelefon neben dem Tankstelleneingang ging. Gail wählte eine Nummer, redete kurz, rieb sich ein Auge und kritzelte eine Adresse auf einen Zettel. Diane hoffte, dass die Leute, wer auch im mer sie waren, wirklich so zuverlässig waren, wie Gail be hauptete. Irgendwie erschien es ihr zu einfach, dass Gail über ein Netzwerk von Leuten verfügte, die nur darauf warteten, ihr zu helfen. Aber vielleicht war es tatsächlich so. Vielleicht wollten Gails Leute sich dafür erkenntlich zeigen, dass Gail all die Jahre hinter Gittern verbracht hatte, ohne auch nur einen einzigen ihrer Komplizen zu verraten. Es war fast, als gelte bei ihnen der gleiche Kodex wie unter Polizisten: die Mauer
des Schweigens. Der Kodex, der wahrscheinlich dafür gesorgt hatte, dass Diane im Gefängnis gelandet war.
Das Haus befand sich am nördlichen Stadtrand am Ende einer langen, sich leicht windenden Zufahrt, die von Pinien und nied rigen Eichen gesäumt war und von ei ner zweispu rigen Landstraße abzweigte, die nach Osten in Richtung Arkansas weiterführte. Gail spürte freudige Erregung, als Diane am Ende der Zufahrt anhielt. Sie fragte sich, was die Jahre ihren Freunden wohl gebracht hatten.
Das Zedernholzhaus hatte zwei Stockwerke,
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