Gehetzt - Thriller
»Was ist los?«
»Ich weiß nicht. Ich habe manchmal diese Momente. Wie ein umgekehrtes Déjà-vu-Erlebnis oder etwas in der Art. Als ob ich in die Zukunft versetzt worden wäre, nur, dass es nicht die Zukunft ist, sondern die Gegenwart. Es ist so komisch, wie sehr sich alles geändert hat.«
»Dieses Ding nennt sich Schlüsselkarte, Baby. Schlüsselloser Zugang - die neue Technologie. Wie bei den Mietwagen, bei denen die Türen sich elektronisch öffnen und schließen. Der ganze neumodische Kram soll Diebe abhalten. Aber du kennst ja bereits meine langweiligen Theorien über Schlösser und Einbrecher.«
»Die Experten scheinen anderer Meinung zu sein als du.«
»Die Experten sind diejenigen, von denen die Theorien stammen. Sie wissen genau, dass hypermoderne Schlösser keine wirklichen Diebe abhalten. Sie fordern sie höchstens heraus, ihre Fertigkeiten zu verfeinern. Das Ganze dient einzig und allein dazu, die Illusion von Si cherheit aufrechtzuerhalten, mit der sie Otto Normalverbraucher ruhigstellen, der jeden Abend in den Nachrichten sieht, dass an jeder Ecke Gefahr lauert. Aber es verkauft sich. Und wie!«
»Danke für die Beruhigung.« Gail schob die Karte zusammen mit ihrem neuen Handy in ihre Tasche. »Ich fühle mich jetzt hightechmäßig auf dem neusten Stand.«
»Dabei hast du noch gar nichts wirklich Hightechmäßiges gesehen«, bemerkte Diane. »Viel Spaß beim Shoppen.«
Diane hatte recht gehabt, was die Hitze anging. Als Gail das Einkaufszentrum erreichte, war sie schweißgebadet. Der Schwall kalter Luft, der aus der Tür strömte, wurde lauwarm, als er mit dem Schwall heißer Luft zusammentraf, die zusammen mit Gail von der Straße hereinkam. Sie trat durch die zweite Türanlage und spürte die Kühle auf ihrer Haut, wie sie um ihren Hals strich und unter ihre Arme kroch, als ob sie nach Feuchtigkeit suchte.
Das Einkaufszentrum war riesig. Eine scheinbar endlose Aneinanderreihung von Läden, die alles nur Erdenkliche verkauften, das man brauchen oder sich wünschen konnte. Als Gail den breiten, gefliesten Gang entlangschlenderte, sah sie unzählige Dinge, die jemand, der recht bei Sinnen
war, unmöglich brauchen oder sich wünschen konnte. Es gab offenbar ein umgekehrtes Verhältnis zwischen der Hässlichkeit und Nutzlosigkeit eines Objektes und seinem Preis, obwohl Gail sich bemühte, das Ganze nicht zu kritisch zu sehen. Wenn ein Bild von Poker spielenden Hunden auf schwarzem Samt jemandes künstlerische Gefühle in Wallung brachte - wer war sie, es für Schund zu befinden? Sie bummelte die Gänge entlang, hielt nach einem Schuhgeschäft Ausschau und fühlte sich, als ob sie wie Alice hinter den Spiegeln in ein Wunderland geschlüpft wäre, und zwar in ein bizarres Konsumenten-Wunderland. Die Kaufhausmusik war deprimierend, das Brummen der gewaltigen Klimaanlage oder was auch immer den Raum mit diesem leisen, kaum hörbaren Grollen erfüllte, ließ sie befürchten, dass das Ein kaufszentrum womöglich einer fehlerhaften Technik zum Opfer fallen und zu kollabieren drohte. Und die Düfte, die dem Restaurantbereich mit den unzähligen knalligen Plastikschildern entstiegen, die über dampfenden Warmhaltetheken hingen, hinter denen sich gelangweilte, picklige Highschoolabbrecher herumdrückten, waren dazu angetan, Gail das Essen schätzen zu lassen, das sie im Gefängnis an der Ausgabe für koschere Gerichte bekommen hatte. Ein einziger Satz schwirrte durch ihren Kopf, sie hörte ihn immer wieder; er wurde gesungen von einem Kirchenchor in Boise … »o’er the land of the free, and the home of the brave«. Der Chor schwoll an, Leute jubelten, und dann ging das Ganze wieder von vorne los. Und noch einmal. Sie versuchte, die Lautstärke herunterzustellen, da sie den Chor nicht aus dem Kopf bekam. Vergeblich. Ein anderes Lied. Sie brauchte ein anderes Lied. Doch das Einzige, was ihr in den Kopf kam, war der Alka-Seltzer-Werbeslogan Plop, plop, fizz fizz, oh, what a relief it is. Im Gehen versuchte sie, ein anderes Lied herbeizubeschwören, und hielt nach einem Schuhgeschäft
Ausschau, einem Schuhgeschäft oder irgendeinem anderen Laden, in dem sie vielleicht ein Paar Laufschuhe erstehen konnte. Dann stand sie plötzlich vor dem Nike Store. Der allgegenwärtige Haken, das Logo, das überall drauf war, der Swooth, von dem es sie nicht wundern würde, ihn in einer sternklaren Nacht riesig über den Mond gepappt prangen zu sehen. Es war gegen ihre Überzeugung, ein Paar Schuhe mit diesem Logo zu
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