Gehetzt - Thriller
Auch wenn sich alles schneller bewegte. Sie wandte sich vom Fenster ab. Diane starrte den Fernseher an, drückte wie wild auf der Fernbedienung herum und zappte sich durch die Programme und eine Unmenge schreierisch angepriesener Programmhinweise, bis sie bei der Aufnahme eines Gefängnisses landete. Ein Häftling in Khakihosen wurde gerade zum Haupttor geführt, und ein diesmal ruhigerer Sprecher verkündete mit dieser Nicht-Sprech-nicht-Flüsterstimme: »… und um zehn heißt es dann wieder Street Time. Willkommen im Leben in Freiheit …«
Gail wandte sich wieder dem Fenster zu und hörte den Spre cher das übrige Abendpro gramm vor stel len. Willkommen im Leben in Freiheit. Genau! Leben in Freiheit.
Der Mann mit ihren neuen Identitäten hatte ausgesehen wie ein Versicherungsvertreter; er war gekommen und wieder gegangen und hatte sie mit neuen Führerscheinen ausgestattet, die auf ihre neuen Namen lauteten und mit ihrem neuen Aussehen entsprechenden Fotos versehen waren. Die Pässe würden noch eine Weile brauchen. Gail hatte nicht sofort erkannt, was er ihnen hingehalten hatte, als er ihnen zwei Wegwerfhandys gereicht hatte. Nicht einmal siebeneinhalb mal zehn Zentimeter groß und keine eineinhalb Zentimeter dick. Sechzig Minuten im Voraus bezahlte Gesprächszeit. Einfach die Zeit abtelefonieren und weg damit. Und wenn du dich verrückt machst, dass dein Anruf womöglich zurückverfolgt wird, schmeiß es weg. Wegwerftelefone! Schmeiß es weg, und kauf dir ein neues! Gail hatte nach der Möglichkeit gefragt,
die Herkunft der Telefone zurückzuverfolgen, und Mr. ID hatte ihr versichert, dass diese Handys zu niemandem zurückverfolgt werden könnten. Vielleicht könnten sie das Telefon anpeilen, aber es gebe keine Möglichkeit herauszufinden, wem es ge höre. In den verschiedenen Mobilfunknetzen seien inzwischen so viele dieser Handys im Einsatz, dass die Bundesbullen gar nicht die Zeit hätten, auch nur zu versuchen dahinterzukommen, welche Bösewichte welche Telefone benutzten. Bis sie es he rausgefunden hätten, habe das Telefon seinen winzigen Wert längst aufgebraucht und vermodere bereits auf irgendeiner Mülldeponie, während sein ehemaliger Besitzer sich längst ein neues mit einer neuen Nummer zugelegt habe.
Gail spürte eine Schwere, die sich auf sie herabsenkte und sie nach unten drückte, als ob die Erde ihre Rotationsgeschwindigkeit gedrosselt und dafür ihre Schwerkraft verstärkt hätte. Sie fragte sich, wo Tom wohl war, obwohl sie es wusste. Er war im Gefängnis. Die Frage war, in wel chem und unter welchen Bedingungen. Sie fragte sich, ob eine Kaution festgesetzt würde, sodass er zumindest bis zur Verhandlung über die Aufhebung seiner Bewährung auf freiem Fuß bleiben konnte. Denn da nach würde er de finitiv nicht mehr frei sein. Er würde wieder in den Knast wandern und seine Strafe absitzen müssen, da er gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hatte. Er hatte es für sie getan. Er hatte die Bullen von ihr weggelockt und seine Freiheit geopfert, damit sie entkommen konnte. Er würde zwei weitere Jahre hinter Gittern verbringen. Gail konnte es noch nicht ganz fassen, konnte diese Art von Liebe noch nicht begreifen. Eine hingebungsvolle Liebe. Aber sie konnte sie fühlen, spürte, wie sie sie überkam, ihr neue Kräfte ver lieh und in ihr die wilde Entschlossenheit keimen ließ, frei zu bleiben, jenseits der Gefängnismauern zu bleiben.
Gail sah erneut aus dem Fenster, wo die Sonne inzwischen tief über dem riesigen Kuppeldach eines Einkaufszentrums stand, das sich hinter den kleineren Geschäften der Einkaufsstraße befand, von der eine Zufahrt zur Schnellstraße führte. Vielleicht konnte sie zu dem Einkaufszentrum gehen, obwohl es nicht so aussah, als ob in dieser Stadt irgendjemand zu Fuß ging. Bisher hatte sie jedenfalls noch keinen einzigen Fußgänger gesehen.
»Lass uns ei nen neuen Mietwa gen besorgen«, wandte sie sich an Diane.
Diane stellte den Ton ab und sah sie an.
»Hast du eine Ahnung, wie heiß es da draußen ist? Es ist Juli, und wir sind in Texas mitten während der Nachmittagshitze. Wir können genauso gut später gehen.«
»Lass es uns lieber jetzt hinter uns bringen. Ohne Wagen fühle ich mich hier schutzlos ausgeliefert.«
Sie nahmen den moteleigenen Shuttle-Bus zum DFW-Flughafen. Es war eine halbstündige Fahrt, vorbei an sonnenverblichenen Einkaufsstraßen und Apartmentanlagen, die sich teilweise den Highway entlangzogen. An einigen von ihnen hingen große
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