Gehetzt
halbes Magazin auf uns ab, ehe er abdrehte. Als ich mich dann von Ihrem Wohlergehen überzeugen konnte, hatten Sie sich von dieser schönen Welt verabschiedet und bluteten wie ein angestochenes Schwein. Mir gelang es mit Müh und Not, Sie zu verbinden.«
Penn holte übertrieben Luft, um seine Schilderung auch recht dramatisch klingen zu lassen.
»Die nächsten Stunden bis nach Einbruch der Dunkelheit spielten wir Katz und Maus mit den Deutschen, und wir waren die Maus, die die Katze nicht kriegen durfte. Es war pures Glück, daß wir durchkamen, wahrscheinlich nur, weil wir die meiste Zeit querfeldein fuhren. Stunden später kamen wir dann hierher.«
»Sie sind nachts gefahren?«
»Ja, Gott sei Dank schien der Mond, denn wir wagten es nicht, die Scheinwerfer einzuschalten. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo wir uns befanden, als wir hier eintrudelten. Und ehe Sie mir deswegen den Kopf abreißen, will ich Ihnen sagen, daß man nachts beim Fahren quer durchs Gelände nicht gleichzeitig mit einem Auge die Karte studieren, mit dem anderen nach den Deutschen schielen und zusätzlich auch noch darauf achten kann, daß der Panzerkommandant in der Zwischenzeit nicht den Löffel abgibt.« Er grinste breit.
»Zumindest ich kann das nicht.«
»Das haben Sie prima hingekriegt, Penn, danke. Doch weshalb sind Sie ausgerechnet hier hängengeblieben?«
»Ich trieb einen belgischen Arzt auf, der versprach, sich um Sie zu kümmern und uns nicht zu verraten. Das Gehöft hier liegt etwas abseits von Fontaine. Niemand im Dorf weiß etwas von uns. Der Doktor ist ein netter alter Bursche namens Lepin.
Bei seinem letzten Besuch sagte er, Sie seien über den Berg.
Wir sollten nur regelmäßig die Wunde neu verbinden und warten, bis Sie wieder zu sich kämen. Wahrscheinlich wird er nicht mehr kommen – die Deutschen würden ihn dafür erschießen, daß er Sie verarztet hat. Wichtig ist, daß man uns bis jetzt noch nicht entdeckt hat…«
»Pierre weiß von unserer Anwesenheit.«
»Zu dem komme ich gleich. Wie geht es Ihnen jetzt?«
Während sie miteinander sprachen, machte Barnes probeweise ein paar Schritte; er ging langsam dicht an der Wand entlang und zwang seine schwachen Beine Schritt für Schritt vorwärts. Die Wunde in der Schulter klopfte jetzt stärker, doch das Schwindelgefühl wich langsam.
»Bestens«, antwortete er rasch. »Erzählen Sie weiter.«
»Lepin hat uns der liebe Gott geschickt. Sie wissen zum Glück nichts davon, doch während Sie bewußtlos waren, hat er Ihnen die Kugel rausgeholt. Er sagte, Sie brauchten mindestens zehn Tage Ruhe. Das war gestern vor einer Woche.«
»Wie war das mit Arras? Wie kamen Sie an die Meldung über Arras?«
»Radio. Ich gehe einmal täglich nach Fontaine, um Nachrichten zu hören. Ein Feld grenzt direkt an Lepins Haus, und er hat mir das Radio in eine Scheune gestellt.«
»Der französische Rundfunk ist nicht besonders zuverlässig.«
»Das weiß ich, deswegen hörte ich nur BBC.«
Ein Schauer lief über Barnes’ Rücken. Arras lag auf halbem Weg zur Küste. Er wollte das Ausmaß der Katastrophe einfach nicht wahrhaben und hegte insgeheim die Hoffnung, daß die Meldungen nur zum Teil zutrafen.
»Verdammt, wir müssen doch ungefähr wissen, wie weit wir hinter den deutschen Linien sind«, brummte Barnes ungehalten.
»Ich habe nicht den Schimmer einer Ahnung!«
Barnes lehnte sich erschöpft gegen die Wand.
»Hören Sie, Penn, da muß es doch irgendwo so was wie eine Front geben. Geben die Nachrichten denn nicht den geringsten Hinweis?«
»Sergeant, Sie haben noch nicht begriffen – die Franzosen haben südlich von Etreux unheimlich eine aufs Haupt bekommen. Die Deutschen haben ihnen das ganze Panzerheer entgegengeworfen. Hier gibt es keine Front mehr. Alles ist in Bewegung geraten. Die Deutschen haben eine tiefe Bresche in die Abwehrlinie geschlagen, und sie wird mit jedem Tag größer. Das britische Expeditionskorps steht jetzt weit westlich von Brüssel.«
»Und in Fontaine sind keine Deutschen?«
»Bis heute morgen noch nicht. Vor zwei Tagen kam eine Panzereinheit durch, ohne jedoch auch nur einen einzigen Soldaten zurückzulassen. Das scheint ihre Taktik zu sein.«
Für Barnes war dies eine interessante Neuigkeit. Er dachte darüber nach, während er seine Kleider zusammensuchte und sich langsam, unter heftigen Schmerzen, anzog. Wenigstens hatten sie ihm noch die Kampfhose angelassen, so daß er sich nicht auch noch damit abzumühen brauchte.
Weitere Kostenlose Bücher