Gehetzt
Schweiß. Er schaute zu Barnes auf, ohne ihn zu sehen.
»Alles bestens, Penn. Sie kriegen jetzt Ihren Cognac.«
Penn öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und fiel in Ohnmacht.
»Verdammter Narr«, knurrte Barnes. »Konnte er das nicht fünf Minuten früher tun?«
Der Abend dämmerte schon, als sie sich einem Bauernhof näherten, einem einsam gelegenen Weiler in der Mitte von nirgendwo. Barnes hoffte inständig, die Bewohner möchten ihnen wohlgesonnen sein, denn die Mannschaft war zum Umfallen müde. Erst gegen 8 Uhr abends war der Sergeant davon überzeugt gewesen, daß Penn sich genügend erholt hatte, um die Strapazen der Weiterfahrt zu überstehen – wenn man die zwei Stunden Pause nach einer solchen Operation als Erholung bezeichnen konnte. Während Penn schlief, hatten Barnes und Reynolds in der Hitze alle Hände voll zu tun gehabt, um Bert wieder auf Vordermann zu bringen. Als sie damit fertig waren, blieb ihnen noch die schwierige Aufgabe, Penn irgendwie von seinem Lager auf der Wiese in den Turm hineinzubugsieren. Sie wickelten ihn in mehrere Decken. Der Corporal wachte auf und protestierte schwach.
»Macht doch nicht gleich solch einen Aufstand. Ich fühle mich ohne die Kugel im Leib jetzt schon wesentlich besser.«
»Nicht sprechen«, meinte Barnes. »Versuchen Sie zu schlafen. Mit all dem Cognac im Leib müßten Sie eigentlich stockbetrunken sein.«
»Bei meinem letzten Besuch in London hatten die Animiermädchen immer eine höllische Mühe, mich abzufüllen, Sergeant.«
»Ich dachte immer, andersherum sei es richtig.«
»Dann hatten Sie’s nicht so nötig wie ich.«
Selbst dieses freundschaftliche Geplänkel schien Penn zu erschöpfen, denn er verfiel wieder in Schweigen. Barnes kontrollierte nochmals den Abzugmechanismus der Kanone und kletterte auf seinen Kommandostand im Turm. Er gab den Befehl zum Losfahren und zwang sich zu einer aufrechten Haltung, als der Panzer die Scheune verließ und die Straße nach Westen unter die Ketten nahm, die Straße nach Cambrai und Arras.
So fuhren sie eine Stunde. Um sicherzugehen, daß Reynolds nicht einschlief, wechselte der Sergeant hin und wieder über das Bordsprechgerät ein paar Worte mit ihm. Selbst der bullige Fahrer zeigte erste Anzeichen von Müdigkeit. Barnes konnte nur hoffen, daß sie nicht vor der Dunkelheit auf den Gegner stießen, denn im Moment würde die tonnenschwere Kampfmaschine nicht einmal einer kleinen Maus gefährlich werden.
Sie fuhren einen Hang hinauf. Selbst als sich Barnes auf die Zehenspitzen stellte, war das Straßenstück auf der anderen Hügelseite nicht einzusehen. Als der Panzer über die Kuppe rollte, entdeckte der Sergeant den Hof.
Er lag etwa achthundert Meter weiter an der Straße. Barnes schaute durch den Feldstecher. Um das Haupthaus gruppierten sich einige Anbauten. Dicht am Straßenrand war ein riesiger Heuhaufen aufgestapelt. Auf dem Feld daneben arbeitete ein Mann. Als sie näher heranfuhren, richtete sich hinter ihm eine Frau auf und ging zum Haus hinüber. Auf dem angrenzenden Acker kurvte ein zweiter Mann mit einem orangefarbenen Traktor herum. Aus dem Schornstein des Hauses stieg eine dunkle Rauchwolke senkrecht in den Himmel. Die Sonne versank gerade als blutrote Scheibe hinter dem Horizont, das Abendrot versprach einen weiteren heißen Sommertag.
Würden die Leute sie freundlich empfangen? Wußten sie vielleicht sogar ein Versteck, wo Panzer und Mannschaft ungestört die Nacht verbringen konnten? Und dann noch die wichtigste Frage: Würden sie ihnen etwas zu essen geben?
Barnes hatte Zweifel. Die Menschen wohnten hier unter deutscher Besatzung und lernten gerade, damit zu leben und ihr Verhalten darauf einzustellen.
›Unter deutscher Besetzung.‹ Der Ausdruck ging Barnes nicht aus dem Sinn, und er mußte daran denken, was Lebrun ihnen verraten hatte: ›Die Deutschen sind in Abbeville…‹
Lebrun mußte einfach gelogen haben, denn wenn das die Wahrheit wäre, war der Krieg verloren. Vielleicht wußte dieser Bauer Genaueres darüber.
Sie näherten sich dem Hof. Der Mann kam vom Acker zur Straße herüber und blieb dort abwartend stehen. In diesem Moment hörte Barnes ein vertrautes Grollen, das von weit her zu ihnen herüberdrang. Es war kaum zu hören, doch sein geschultes Ohr erkannte das Geräusch sofort – die Abschüsse schwerer Artillerie. Waren das die Kanonen von Arras? Sie näherten sich anscheinend wieder der Hauptkampflinie. Es war Freitag abend, der 24. Mai.
Vier Tage zuvor, am
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