Gehetzte Uhrmacher
durchgeladen.«
Neben ihm am Boden lag eine Patrone. Dafür gab es nur eine Erklärung: Er hatte zu schießen versucht und dann den Blindgänger ausgeworfen.
Baker nahm die kleine Zweiunddreißiger in die linke Hand und ließ die Rechte an seine Seite sinken. »Wir müssen vorsichtig sein. Ich glaube, er ist hier irgendwo.«
Sachs richtete ihre Pistole genau auf Bakers Brust.
»Tun Sie das nicht, Dennis«, sagte sie mit Blick auf seine Hüfte, wo seine Dienstwaffe steckte. »Ich werde schießen. Ich nehme an, Sie tragen unter dem Hemd eine Schutzweste. Mein erster Schuss wird Ihre Brust treffen, aber die nächsten beiden platziere ich höher. Das wird sehr unangenehm.«
»Ich... Sie verstehen nicht.« Er wurde panisch. »Sie müssen mir glauben.«
War das laut Kathryn Dance nicht einer der Schlüsselsätze, die auf eine Irreführung hindeuteten?
»Was ist hier los?«, fragte Pulaski.
»Bleiben Sie da, Ron«, befahl Sachs. »Beachten Sie nicht, was er sagt. Ziehen Sie Ihre Waffe.«
»Pulaski, sie dreht durch«, sagte Baker. »Da stimmt was nicht.«
Doch aus dem Augenwinkel sah Amelia, wie der Neuling seine Waffe zog und auf Baker richtete.
»Dennis, legen Sie die Zweiunddreißiger auf den Tisch. Dann holen Sie mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand Ihre Dienstwaffe heraus, legen sie daneben, gehen fünf Schritte zurück und legen sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Okay? Haben Sie alles verstanden?«
»Sie begreifen nicht.«
»Das brauche ich auch nicht«, erwiderte sie ruhig. »Sie machen jetzt einfach nur, was ich Ihnen sage.«
»Aber...«
»Und zwar sofort.«
»Sie sind ja verrückt«, herrschte Baker sie an. »Seit Sie wissen, dass ich Sie wegen Ihres ehemaligen Freundes überprüft habe, haben Sie es auf mich abgesehen. Sie wollen mir was anhängen... Pulaski, Sie wird mich umbringen. Sie hat den Verstand
verloren. Lassen Sie nicht zu, dass sie auch Ihnen eine Kugel verpasst.«
»Sie haben Detective Sachs’ Anordnungen gehört«, sagte Pulaski. »Falls es nötig sein sollte, werde ich Sie entwaffnen. Also, Sir, wie lautet Ihre Entscheidung?«
Mehrere Sekunden vergingen. Sie kamen ihnen wie Stunden vor. Niemand rührte sich.
»Scheiße.« Baker legte die beiden Pistolen auf den Tisch und ließ sich zu Boden sinken. »Sie stecken beide gewaltig in Schwierigkeiten.«
»Legen Sie ihm Handschellen an«, befahl Sachs.
Der verblüffte Neuling fesselte dem Mann die Hände auf den Rücken. Amelia gab ihm so lange Deckung.
»Durchsuchen Sie ihn.«
Sie nahm ihr Funkgerät. »Detective Fünf Acht Acht Fünf an Haumann. Kommen.«
»Was gibt’s? Kommen.«
»Die Lage hat sich geändert. Ich habe jemanden in Gewahrsam genommen und brauche eine Eskorte, die ihn nach unten bringt.«
»Was ist da los?«, fragte der ESU-Leiter. »Haben Sie den Täter erwischt?«
»Gute Frage«, antwortete sie und steckte ihre Waffe ein.
Nach dieser neuen Wendung des Falls begab sich eine weitere Person zu dem Bürogebäude in Midtown, wo Detective Dennis Baker anscheinend soeben versucht hatte, Amelia Sachs und Ron Pulaski zu ermorden.
Mit seinem Touchpad steuerte Lincoln Rhyme den roten Rollstuhl Modell Storm Arrow auf dem Bürgersteig zum Eingang des Hauses. Baker saß in Hand- und Fußfesseln auf der Rückbank eines nahen Streifenwagens. Sein Gesicht war kreidebleich. Er starrte ins Leere.
Anfangs hatte er noch behauptet, Sachs wolle es ihm wegen der Nick-Carelli-Angelegenheit heimzahlen. Daraufhin hatte Rhyme Kontakt zur Führungsetage aufgenommen und mit dem Verfasser der E-Mail gesprochen, einem hohen NYPD-Beamten. Wie sich herausstellte, war es Baker gewesen, der Besorgnis wegen einer möglichen Verbindung zwischen Sachs und einem korrupten Cop geäußert
hatte, und die E-Mail stammte gar nicht von dem angeblichen Absender; Baker hatte sie selbst geschrieben. Die ganze Sache sollte ihm als Tarnung dienen, falls Sachs bemerkte, dass er ihr folgte oder Erkundigungen über sie einzog.
Nun erreichte Rhyme die Leitstelle, die Sellitto und Haumann unmittelbar neben dem Gebäude errichtet hatten. Er blieb stehen, und Sellitto beschrieb ihm, was im ersten Stock geschehen war. »Ich kapier’s nicht«, fügte der massige Detective hinzu. »Ich kapier’s einfach nicht.« Er rieb sich die kalten Hände und blickte zum klaren, windigen Himmel empor, als wäre ihm gerade erst bewusst geworden, dass sie einen der eisigsten Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erlebten. Wenn er sich in einen Fall
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