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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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Tasche.

... Sechs

    Vincent Reynolds ging die eisigen Straßen von SoHo entlang. Er befand sich östlich des Broadway in einer etwas schäbigen und ziemlich verlassenen Gegend des Viertels, einige Blocks entfernt von den eleganten Restaurants und Boutiquen. Fünfzehn Meter vor ihm ging sein Blumenmädchen – Joanne, die Frau, die bald ihm gehören würde.
    Seine Augen waren auf sie gerichtet, und er verspürte einen bohrenden, elektrisierenden Hunger, genauso stark wie an jenem Abend, an dem er zum ersten Mal Gerald Duncan begegnet war. Rückblickend hatte dieser Moment sich als überaus wichtig für Vincent Reynolds erwiesen.
    Nach dem Vorfall mit Sally Anne – als Vincent verhaftet wurde, weil er die Kontrolle verlor – hatte er sich vorgenommen, in Zukunft schlauer zu Werke zu gehen. Er würde eine Skimaske tragen, er würde die Frauen von hinten packen, damit sie ihn nicht sehen konnten, er würde ein Kondom benutzen (wodurch er zwangsläufig etwas ruhiger wurde), er würde nie im näheren Umkreis seiner Wohnung jagen, und er würde die Techniken und Gegenden der Übergriffe variieren. Er würde die Vergewaltigungen sorgfältig planen und sein Vorhaben aufgeben, falls das Risiko bestand, erwischt zu werden.
    Nun, so weit die Theorie. Aber im letzten Jahr war es ständig schwieriger geworden, den Hunger in den Griff zu bekommen. Der Trieb wurde übermächtig, und dann kam es vor, dass Vincent eine Frau ohne Begleitung auf der Straße sah und dachte: Ich muss sie haben. Jetzt! Völlig egal, ob jemand mich sieht.
    Der Hunger macht mit dir, was er will.
    Zwei Wochen zuvor hatte Vincent bei einem Stück Schokoladenkuchen und einer Cola in einem Imbiss gesessen, ganz in der Nähe des Büros, in dem er regelmäßig eingesetzt wurde. Da fiel ihm diese neue Kellnerin auf. Sie war schlank, hatte ein rundes Gesicht
und lockiges goldenes Haar. Er sah, dass die obersten beiden Knöpfe ihrer engen blauen Bluse geöffnet waren, und in seinem Innern regte sich plötzlich der Hunger.
    Als die Frau ihm die Rechnung brachte, lächelte sie ihn an, und er beschloss, er müsse sie haben. Sofort.
    Er hörte, wie sie zu ihrem Chef sagte, sie würde hinter dem Laden eine Zigarettenpause einlegen. Vincent zahlte und ging hinaus. Vorsichtig spähte er um die Ecke der Gasse. Da stand die Frau in ihrem Mantel, lehnte an der Wand und schaute in die andere Richtung. Es war spät – er bevorzugte die Schicht von fünfzehn bis dreiundzwanzig Uhr -, und obwohl noch ein paar Fußgänger unterwegs waren, hielt niemand sonst sich in der Gasse auf. Die Luft war kalt, und die Pflastersteine würden noch kälter sein, aber das kümmerte ihn nicht; ihr Körper würde ihn wärmen.
    In diesem Moment flüsterte ihm eine Stimme etwas ins Ohr: »Warte noch fünf Minuten.«
    Vincent zuckte zusammen und fuhr herum. Vor ihm stand ein etwa fünfundfünfzigjähriger Mann mit rundlichem Gesicht und schmaler Statur. Er strahlte etwas Beruhigendes aus, und er schaute an Vincent vorbei in die Gasse.
    »Was?«
    »Warte.«
    »Wer sind Sie?« Vincent hatte nicht wirklich Angst – er war fünf Zentimeter größer und mindestens zwanzig Kilo schwerer -, aber der seltsame Blick der auffallend blauen Augen des Mannes war ihm unheimlich.
    »Das spielt keine Rolle. Tu so, als wären wir Freunde, die miteinander plaudern.«
    »Kommt gar nicht in Frage.« Mit wild pochendem Herzen und zitternden Händen wollte Vincent sich einfach abwenden und gehen.
    »Warte«, sagte der Mann leise ein weiteres Mal. Seine Stimme war nahezu hypnotisch.
    Der Vergewaltiger wartete.
    Eine Minute später sah er, wie sich gegenüber der Hintertür des Restaurants die Tür eines anderen Gebäudes öffnete. Die Kellnerin ging hin und sprach mit zwei Männern. Einer der beiden trug einen Anzug, der andere eine Polizeiuniform.

    »O mein Gott«, flüsterte Vincent.
    »Da läuft eine verdeckte Operation«, sagte der Mann. »Die Frau ist Polizistin. Ich glaube, der Eigentümer des Ladens führt nebenher ein illegales Wettbüro. Die stellen ihm eine Falle.«
    Vincent erholte sich schnell von dem Schreck. »Und? Was geht mich das an?«
    »Falls du dein Vorhaben in die Tat umgesetzt hättest, würdest du jetzt Handschellen tragen. Oder wärst erschossen worden.«
    »Mein Vorhaben?«, fragte Vincent und versuchte, völlig ahnungslos zu klingen. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    Der Fremde lächelte nur und bedeutete Vincent, ihn ein Stück zu begleiten. »Wohnst du hier in der Gegend?«
    Vincent

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