Gehetzte Uhrmacher
ein Zufall. Es passiert nur ganz selten, dass man verfolgt wird, und glauben Sie mir, der Verfolger sitzt niemals in einem Hundertvierzigtausend-Dollar-Wagen.«
Er berührte den kalten Körper der Floristin auf dem Beton. Ihr Gesicht war so bleich wie die weißen Rosen, die um sie verstreut lagen.
Der kalte Körper, kalt wie der Kalte Mond, aber immer noch weich; die Starre des Todes würde erst in einer Weile einsetzen.
Er schnitt den Stoff auf, die Bluse, den Büstenhalter …
Berührte sie …
Schmeckte sie …
Das waren die Bilder, die Vincent Reynolds sich vorstellte, während er auf dem Fahrersitz des Heftpflastermobils saß und zu der dunklen Werkstatt auf der anderen Straßenseite hinüberstarrte. Vor lauter Vorfreude auf Joanne beschleunigte sich sein Atem. Er verging fast vor Hunger.
Ein lästiges Geräusch erklang: » Wagen Zweiundvierzig, sind Sie frei? Es fehlen noch ein paar Absperrungen an der Ecke Nassau und Pine. Bei dem Zeitungsstand. «
» Klar, wir übernehmen das. Over. «
Die Worte stellten für ihn oder Gerald Duncan keine Bedrohung dar, also schwelgte Vincent weiter in seinen Phantasien.
Er schmeckte, berührte …
Vincent stellte sich vor, wie der Killer Joanne wohl in genau diesem Moment zu Boden warf und fesselte. Dann runzelte Vincent die Stirn. Würde Duncan sie dabei etwa an gewissen Stellen berühren? An der Brust oder zwischen den Beinen?
Vincent war eifersüchtig.
Joanne war seine Freundin, nicht Duncans. Verdammt noch mal! Wenn der Kerl was zum Ficken wollte, sollte er sich gefälligst selbst ein nettes Mädchen suchen...
Aber dann riss Vincent sich wieder zusammen. An all dem war nur der Hunger schuld. Er machte dich wahnsinnig, ergriff Besitz von dir wie bei den Leuten in den blutigen Zombiefilmen, die Vincent sich ansah. Duncan ist dein Freund. Falls er ein wenig mit ihr spielen will, lass ihn. Sie konnten sich das Mädchen teilen.
Vincent sah ungeduldig auf die Uhr. Warum dauerte das so lange? Duncan hatte ihm erzählt, die Zeit sei keine absolute Größe. Ein paar Wissenschaftler hätten im Zuge eines Experiments eine Uhr hoch oben auf einen Turm gestellt und eine andere auf Höhe des Meeresspiegels. Die auf dem Turm sei schneller gelaufen als die auf dem Boden. Wegen irgendeines physikalischen Gesetzes. Und auch psychologisch betrachtet sei die Zeit relativ, hatte Duncan hinzugefügt. Wenn man an einer Sache Spaß habe, vergehe sie
im Fluge. Sobald man auf etwas warte, verstreiche sie nur schleppend.
So wie jetzt. Na los, mach schneller.
Das Funkgerät auf dem Armaturenbrett erwachte erneut zum Leben. Weitere Verkehrsmeldungen, vermutete Vincent.
Aber er irrte sich.
» Zentrale an alle verfügbaren Einheiten in Lower Manhattan. Begeben Sie sich in die Spring Street, östlich des Broadway. Achtung, halten Sie nach Blumenläden Ausschau. Es besteht ein Zusammenhang mit den gestrigen Morden auf dem Pier an der Zweiundzwanzigsten Straße und in der Gasse an der Cedar Street. Seien Sie vorsichtig. «
»O mein Gott«, murmelte Vincent und starrte den Scanner an. Er betätigte die Kurzwahltaste seines Telefons und sah die Straße hinauf – noch war nirgendwo Polizei zu sehen.
Es klingelte einmal, zweimal … »Nimm schon ab!«
Klick. Duncan sagte nichts – so hatten sie es vereinbart. Aber Vincent wusste, dass er zuhörte.
»Raus da, sofort! Schnell! Die Polizei kommt.«
Vincent hörte ein leises Keuchen. Die Verbindung wurde unterbrochen.
» Hier Streife Drei Drei Sieben. Wir sind drei Minuten von dort entfernt.«
»Roger, Drei Drei Sieben... Soeben kommt eine Ergänzung herein – wir haben einen Zehn-drei-vier, einen tätlichen Angriff, in der vier-eins-acht Spring Street. Alle verfügbaren Einheiten zum Tatort.«
»Roger.«
»Streife Vier Sechs Eins, wir sind ebenfalls unterwegs.«
»Mach schon, um Himmels willen«, murmelte Vincent. Er legte den Gang ein.
Eine große Keramikvase flog mit lautem Krachen durch die Glastür der Werkstatt. Duncan kam zum Vorschein, lief über die Scherben hinweg, wäre beinahe auf dem Eis ausgerutscht, rannte dann zu dem Explorer und sprang auf den Beifahrersitz. Vincent raste los.
»Langsamer«, befahl der Killer. »Bieg an der nächsten Straße ab.«
Vincent ging vom Gas. Das erwies sich als weise Entscheidung, denn kaum hatte er das Tempo verringert, schlitterte vor ihnen ein Streifenwagen um die Ecke.
Zwei weitere Fahrzeuge fuhren bis zu der Werkstatt, und die Beamten stiegen aus.
»Halt an der Ampel
Weitere Kostenlose Bücher